Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen hatte ich "Die Hirntöterin" von Thea Dorn gelesen. Ich kannte Thea Dorn vom
Literaturclub im SWR-Fernsehen. Als ich sie in der SWR1-Radiosendung „Der
Abend“ mit ihrem neuen Buch „Deutschland – deine Seele“ hörte, wurde ich
neugierig und bekam Lust etwas von ihr zu lesen. Daraufhin ersteigerte ich in
Ebay ihren Kriminalroman „Die Hirntöterin“.
Die Hirntöterin ist eine
schwer verdauliche Kost, zum einen, weil Thea Dorn auf unterschiedlichen Ebenen
parallel erzählt, so dass man sich ständig neu in diese Erzählebenen hineinfinden
muss, zum anderen weil Bruchstücke aus der griechischen Mythologie in die
Erzählung hinein gestreut werden. Mir als Leser hat dies immens das Verständnis
erschwert, da mir die griechische Mythologie allenfalls im Zusammenhang mit
einzelnen philosophischen Werken (Bloch bzw. Schopenhauer) ein Begriff ist. Eine
entsprechende Vorbildung – etwa durch ein geisteswissenschaftliches Studium –
besitze ich nicht.
Das Konstrukt der Erzählung
könnte glatt aus einem Horrorfilm stammen. Ein Serientäter begeht insgesamt
vier Morde, indem er den Kopf vom Körper abtrennt, aus dem Kopf das Blut
fließen lässt, vom Kopf das Gehirn mit Hilfe chirurgischer Werkzeuge spaltet
und dieses ausschlürft.
Außer der Polizei treibt die
Journalistin Kyra die Ermittlungen voran. Thea Dorns Sprache ist sehr real,
direkt, die Charaktere sind mitten aus ihrem Leben beschrieben. Abseits der griechischen
Mythologie ist der Kriminalroman durchaus einfach zu lesen und spannend
geschrieben.
Nur: die sorgsam
proportionierten Abfolgen der griechischen Mythologie lassen sich nicht
überlesen, sie sind schließlich auch die Lösung des Falls. Es werden
griechische Hexameter in einer deutschen Übersetzung rezitiert. Ich musste mich
durch die Iliade und durch Odysseus hindurch kämpfen. Die Figuren einer Pallas
Athene oder Elektra wurden mir an den Kopf geschmissen. Personen, von denen ich
nie etwas gehört hatte – Tydeus oder Ugolino – musste ich über mich ergehen
lassen. Ich wurde mit Begriffen aus der griechischen Philosophie konfrontiert:
Eutyphia = zufälliges Glück bei Aristoteles oder Arete = Tugend bei Sokrates.
Zwischendurch hatte ich Thea
Dorn verflucht, dass sie sich nicht auf das Niveau eines Lesers ohne
entsprechende Vorbildung begibt und anstatt dessen erwartet, dass sich der
Leser über diesen griechischen Kauderwelsch schlau macht, indem er liest,
googelt, in eine Bücherei marschiert oder Experten in seinem Bekanntenkreis
befragt oder sonstwie.
Als ein Mord direkt auf dem
Pergamon-Altar im Berliner Pergamonmuseum geschieht, ahnte ich trotz meiner
unzureichenden Vorbildung, dass es sich um einen reiligiösen Kult handeln
muss. Eine Art von Opferung an die Götter, wie es sie bei Tieren gibt, die in
Teile zerlegt werden, bei denen Blut fließt und die schließlich gegessen
werden.
Thea Dorn lässt den Leser
lange schmoren, bis gegen Ende des Romans die griechische Mythologie und das
Täterprofil des Serientäters zusammengefügt werden. Es ist ein höchst
theoretisches Konstrukt, dass der Mörder (tatsächlich ist es eine Mörderin) künstlich
gezeugt worden ist und als idealer Mensch erzogen worden ist, der gebildet ist,
rational, ohne Leidenschaft, ohne Triebe, nur nach dem höchsten strebend, in
Freiheit handelnd. Das ist das Menschenbild, welches die griechische Antike
geprägt hat.
Mit der Wirklichkeit
konfrontiert, wirken Triebe – vor allem sexuelle Treibe – anderer Menschen auf
dieses theoretische Konstrukt eines idealen Menschen ein. Dieser ideale Mensch ist
nämlich ständig umgeben von Figuren, die ihren Trieben nachgehen – und dies ist
vor allem ein ausschweifendes Sexualleben. Dieser ideale Mensch rächt sich und
steigert sich in Horrorvisionen hinein, indem er zum Dämon mutiert und zur
Hirntöterin wird, nachdem die Lust von Männern auf Sex sie angeekelt hat. Dabei
ist das Gehirn ein Symbol dafür, dass die Triebe den Verstand lahm legen.
Die Hirntöterin hat sich mir
erst beim zweiten Lesen erschlossen. Dazu habe ich Abstand gebraucht, um die
Horrorszenen – abgetrennter Kopf und Spalten des Hirns – ertragen zu können und
insbesondere ein paar Grundlagen der griechischen Mythologie studieren zu
können, um die ganze Begriffswelt einordnen zu können. Ich musste einen Prozess
durchlaufen, um diesen Kriminalroman als gelungen einstufen zu können ….
Man muss sich schon für diesen Stoff interessieren, um diese Art von Bücher bewältigen zu können.
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