wer bin ich ? ich heiße Dieter

Dienstag, 29. November 2011

Hänneschen

Unsere Wege kreuzten sich kurz, genau gesagt, zwischen den Straßenbahnhaltestellen Köln-Deutz und Heumarkt. Auf der Deutzer Brücke schauten wir auf das Postkarten-Panorama von Köln: im Mittelpunkt der Kölner Dom mit seiner alles überragenden Größe; davor, nicht weniger beeindruckend, St. Martin mit seinem viereckigen Kirchturm; im Vordergrund ankerten die Ausflugsschiffe der Köln-Düsseldorfer.

Nachdem einige Fahrgäste in Köln-Deutz ausgestiegen waren, hatte sich eine Frau neben unsere Kleine gesetzt. Ihre dunkelbraunen Augenbrauen hoben sich scharf von ihrem grauen, kurzen Haar ab. Unvermittelt wanderte ihr Blick zu unserer Kleinen hinüber.
„Schöne Haare hast Du“ sagte sie zu unserer Kleinen und meinte ihre beiden sorgfältig geflochtenen Zöpfe.
„Ich gehe schon in die Schule.“
„Unsere Tochter ist schon groß. Sie studiert in Köln. Und was machst Du in Köln ?“
„Ich gehe ins Hänneschen Theater.“
„Was wird dort gespielt? Ein Weihnachtsmärchen ?“
„Ja“. bestätigte unsere Kleine.

Am Heumarkt, aus der Straßenbahn ausgestiegen, verloren sich unsere Wege. Die Frau traf eine andere Gruppe, blieb an der Haltestelle stehen und quasselte. Wir schoben uns über den Heumarkt. Über den Weihnachtsmarkt mit den Freßbuden und dem Kinder-Riesenrad, bis wir am Hänneschen-Theater ankamen. 

Vorhang auf, hieß es um 15 Uhr. Hänneschen und Bärbelchen fegten über die Bühne, und schnell entwickelte sich der bodenständige, Kölsche Humor: Tünnes mit seiner behäbigen und langsamen Art, Schäl auf seinen eigenen Vorteil achtend und Intrigen suchend, Speumanes mit seiner vom Spucken durchdrungenen Sprache. Schnell krümmten wir uns vor Lachen. Dabei zeichnete sich in Knollendorf eigentlich eine Katastrophe ab. Sonne und Mond spielten verrückt und gingen auf und unter, so wie sie lustig waren. Wenn die nächtliche Ruhe fehlte, hatte niemand mehr Lust, Weihnachten zu feiern. Die Eule Eulalia wies Hänneschen und Bärbelchen den Weg in den Himmel, wo die Engel und der Weihnachtsmann genauso beim Geschenke-Einpacken durcheinander gerieten. Sie gaben Bärbelchen und Hänneschen den entscheidenden Tipp: beim Eremiten Pendulus stand eine Wetteruhr, die bestimmt verrückt spielte. Wieder auf der Erde angekommen, fanden Hänneschen und Bärbelchen gemeinsam mit dem Sternenputzerengelchen Blinki in einem Waldstück Pendulus. Tatsächlich, im Uhrwerk der großen Wetteruhr hatte sich ein Mäusenest eingenistet, und nachdem die Mäusefamilie befreit war, zeigte die große Wetteruhr wieder die richtige Uhrzeit. In Knollendorf gingen fortan Sonne und Mond wieder zur richtigen Zeit auf, und es konnte Weihnachten gefeiert werden.

In Knollendorf versammelten sich alle um den großen Weihnachtsbaum und sangen ein Weihnachtslied:

O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Welt ging verloren, Christ ist geboren:
Freue, freue dich, o Christenheit!

In diesem Moment war die Vorweihnachtszeit bei mir angekommen. Das war rührend gespielt, eine schöne Geschichte, und im Theater sang eine überwältigende Anzahl von Besuchern mit. Ab diesem Moment würde ich mit einem anderen Blickwinkel über Weihnachtsmärkte gehen, nicht nur diese Ansammlung von Freßbuden oder die Warteschlangen vor den Glühweinständen sehen. Ich spürte, dass sich etwas in meinen Inneren regte, zu so einer Art von Kern des Weihnachtsfestes zu gelangen.

Als wir das Hänneschen-Theater verließen, turnte unsere Kleine prompt auf dem Millowitsch-Denkmal herum. Wir holten sie wieder herunter, damit nichts schlimmes passierte, ihr linker Arm war ja schließlich schon in Gips. Wir erzählten ihr von Willi Millowitsch. Dass er nicht mehr lebte und ein bekannter Kölner Volksschauspieler war. Kölsche Identität, ein Kölner Original. Wir schlenderten weiter, und mit der Straßenbahn ging es nach Hause zurück.

Montag, 28. November 2011

Advent, Advent, die erste Kerze brennt ...

Wenn ich auf das Kerzenlicht schaue, habe ich ein mulmiges Gefühl, eine Ungewissheit und Anspannung, vieles kreist um die nächsten Wochen bis Weihnachten.

Was alles zu erledigen ist. Jedes Jahr lerne ich aufs Neue, dass die Anzahl von Erledigungen und Besorgungen in der Vorweihnachtszeit explodiert. Wunschzettel und Weihnachtsgeschenke schreiben wir als Liste herunter und haken diese ab. Die Weihnachtsfeiern, an denen wir gerne teilnehmen, häufen sich: mit der Tanzgruppe unserer Kleinen in Köln-Porz; in Köln mit den Arbeitskollegen, dann noch mit einem früheren Arbeitskollegen; mit dem VHS-Kurs in Siegburg; Adventsbasar in der Grundschule. Bei der Weihnachts-Deko habe ich jedes Jahr das Problem, sie zeitnah an der richtigen Stelle aufzuhängen. Je mehr sich Weihnachten nähert, um so mehr knubbeln sich die Aufräum- und  Putzaktionen. Von der vielbeschworenen Besinnlichkeit in der Adventszeit vermag ich wenig zu spüren. Zeit, um beispielsweise über den Bonner Weihnachtsmarkt zu bummeln, müssen wir uns freischaufeln.

Den Überblick behalten. Damit wir einen vernünftigen Weihnachtsbaum bekommen, der nicht krumm und schief ist, der weder zu hoch noch zu klein ist, der nicht schon nach ein paar Tagen Berge von Nadeln verliert. Damit die Kinder einen Adventskalender haben und etwas vom Nikolaus geschenkt bekommen. Damit die Situation ausbleibt, dass wir Heiligabend eine halbe Stunde vor Geschäftsschluss noch in einer Buchhandlung ein fehlendes Weihnachtsgeschenk abholen müssen. Bis zum Weihnachtsfest, da müssen wir noch so manches organisieren, disponieren, regeln, besorgen, machen, tun.

Dieses mulmige Gefühl, das mich beim Brennen der ersten Kerze überfällt, wird spätestens mit der Bescherung vorbei sein. Schenken und beschenkt werden, das haben wir in jedem Jahr gerne gemacht. Und wir haben uns dabei glücklich gefühlt. 

Sonntag, 27. November 2011

16 Beutel Plätzchen

… haben wir für den Mondorfer Weihnachtsmarkt gebacken, für den Stand des Fördervereins für integratives Wohnen.

Wir haben beschlossen, dass in diesem Jahr 16 Beutel reichen. Der Freitag lag quer, war mit unserer Kleinen vollgequetscht: morgens in die Kinderklinik nach St. Augustin, gebrochenen Arm neu eingipsen, nachmittags zum Adventsbasar in die Grundschule, abends klagte sie über Schmerzen.

Wir sind nicht mehr so verbissen wie in den vergangenen Jahren. Letztlich kommen die Plätzchen meinem Schwager Udo zugute, über den Förderverein, der finanziell Anschaffungen und die Unterkunft im Behindertenwohnheim unterstützt. In anderen Jahren hatte es werktags schon mal abendfüllende Aktionen gegeben: Backblech für Backblech hatten wir in unseren Ofen geschoben, und wir hatten so viel Teig vorbereitet, dass dies Zeit kostete, bisweilen bis Mitternacht. Danach war ich so aufgedreht, dass ich noch 1-2 Glas Wein trank, zur Arbeit musste ich am nächsten Morgen um 6 Uhr aufstehen, mein Rhythmus war danach durcheinander geraten.

Heute, an einem Samstag um die Mittagszeit, haben wir in entspannter Atmosphäre Plätzchen gebacken. Etwa 3 Stunden lang haben wir gebacken, Backblech für Backblech in unserem Ofen. Unsere Kleine hat beim Backen sogar geholfen: den Schwengel an unserem Fleischwolf hat sie gedreht, gestaunt hat sie, wie das Spritzgebäck die geribbelte Form gebildet hatte, als alles am anderen Ende des Fleischwolfs herausglitt. Und ganz groß schauten ihre Kinderaugen, als wir die goldbraun gebackenen Plätzchen aus dem Backofen herausgenommen haben. Als die 16 Beutel fertig waren, haben wir uns noch eine Tasse Kaffee getrunken.

In den nächsten Wochen, da werden bestimmt nochmals Plätzchen gebacken, nämlich für uns selbst. Und ein Haufen, so groß wie 16 Beutel, wird da bestimmt ausreichen ….

Donnerstag, 24. November 2011

Niedrigwasser auf dem Rhein

Nach verrichtetem Tagewerk hat sich die Sonne zurückgezogen. Auf der Rheinuferpromenade kriecht eine Gruppe von Rentnern auf ihren Fahrrädern vorwärts; ohne zu treten, lassen sie ihre Beine baumeln und den Tag ausklingen. Ein Spaziergänger lässt die Szenerie auf sich wirken: über das Geländer gebeugt, in der herunterhängenden Hand eine Zigarette, pustet er in langen Stößen den Zigarettenqualm aus dem Mund. Auf dem anderen Rheinufer mischt sich ein zarter Schleier von Himmelsrot in das gedämpfte Himmelsblau hinein.

Seit Monaten hat es nicht mehr geregnet, und der Rhein zeichnet nur noch eine schmale Fahrrinne. Den Möwen ist das egal. Sie ziehen ohnehin ihre Kreise. Sie staksen mit ihren schmalen Beinen im Wasser herum, flattern auf und ballen sich zu großen Schwärmen zusammen, um sich anschließend auf die Hungersteine zu verteilen, die aus dem Rhein herausragen. Die Hungersteine scharen sich bisweilen zu regelrechten Inseln zusammen und haben sich im Rhein fest etabliert.

Gelassen und mit Demut fließt der Rhein dahin. Die Wellen treiben ihr Spiel auf kleinerem Raum; Uferpartien haben sich in das Flussbett hineingeschoben. Der zurückgedrängte Rhein schafft neue Räume für Aktivitäten. Ein Hund genießt es, über die holprigen Steine laufen zu können. Am Rhein angekommen, rekelt er seinen Kopf ins Wasser hinein und schüttelt ihn aus wie einen nassen Schwamm. Sein Herrchen stolpert über die Steine hinterher, er pfeift, der Hund gehorcht. Dann nimmt der Hund wieder seine Spur auf, immer den Rhein entlang ....

Mittwoch, 23. November 2011

1 €-Krimi

Meine Frau hatte mir aus einem Räumungsverkauf in der Bonner Fußgängerzone einen Kriminalroman mitgebracht; bei der Räumung waren nur noch kümmerliche Restposten übrig geblieben; 1 € kostete der Kriminalroman.


Der Kriminalroman spielt in Havanna. Die Lösung des Falls und die Suche nach dem Mörder habe ich beim ersten Lesen nicht verstanden, weil der Roman permanent überladen ist mit lauter Abscheulichkeiten, Hässlichkeiten und Brutalitäten. Der Roman beginnt mit einer Szene, dass ein Grab geöffnet wird, in dem drei Leichen voller Maden und Insekten nur so wimmeln und der Leichengestank alles überlagert. Die Brutalitäten setzen sich fort, wie gemordet wird: ein Mordopfer wird mit einem Buschmesser zerlegt, die Knochen frisst anschließend der Hund; einem anderen Mordopfer wird die Kehle durchgeschnitten, zusätzlich die Zunge abgeschnitten, die dann mittels einer Stecknadel auf die Brust geheftet wird.


Beim zweiten Lesen habe ich festgestellt, dass die Lösung des Falls eigentlich einfach ist. Der frühere Mafia-Boss Alex Varga, der den Fall recherchiert, besitzt eine leere Grabstätte, die außer ihm niemand kennt. Dort werden drei Leichen gefunden. Dank seiner früheren Kontakte recherchiert er in der Drogen- und Prostituiertenszene und wird fündig: ein Spanier und ein Gehilfe mit seiner Schwester vertreiben Drogen in die USA. Als sie ihre Abnehmer mit gestreckten Drogen von schlechterer Qualität betrogen haben, werden sie von Hintermännern ihrer Abnehmer ermordet. 


Trotz – oder vielleicht gerade wegen – all der Abscheulichkeiten, Hässlichkeiten und Brutalitäten ist die Sprache griffig und anschaulich. Die Sprache gleitet zwar allzu oft in eine milieubehaftete Fäkaliensprache ab, doch insgesamt ist sie authentisch, dicht, intensiv; der Roman ist kurzweilig und gut zu lesen.

Im Vorwort betont Amir Valle, dass der Kriminalroman auf wahren Begebenheiten beruht. Und das ist das eigentlich schlimme, dass die Zustände in Kuba – insbesondere in Havanna – katastrophal sind. Er beschreibt, dass Häuser einstürzen, weil Geld zum Renovieren fehlt und dass Menschen unter diesen eingestürzten Häusern begraben werden. Straßen sind zu einem großen Teil unpassierbar, weil sie voller unreparierter Schlaglöcher sind. In den Gefängnissen bricht die Wasserversorgung immer wieder zusammen, so dass die sanitären Anlagen eine einzige Kloake sind. Er beschreibt, dass Drogenhandel und Prostitution der einzige nennenswerte Wirtschaftsfaktor sind, weil es ansonsten keine überlebensfähigen Industrien gibt. Amir Valle beschreibt zudem – unabhängig von der Lösung seines Falls – innerhalb der Drogen- und Prostituiertenszene eine Vielzahl von Morden, die ich nicht gewagt habe zu zählen. 


Beim Lesen des Romans ist mir bewusst geworden, dass der Quantensprung in die Karibik mit der Nischenexistenz von Kuba nicht meine Welt ist. Bei Kriminalromanen bin ich bodenständiger, etwa bei Jacques Berndorf in der Eifel oder bei Henning Mankell in Schweden. Valle hat dieses Buch 2003 geschrieben. Ich kann nicht beurteilen, inwieweit sich seitdem der Kubas Steinzeit-Kommunismus geöffnet hat und der Bevölkerung vielleicht Perspektiven geboten werden können.

Dienstag, 22. November 2011

Udos Geburtstag

… haben wir in diesem Jahr das dritte Mal bei uns zu Hause gefeiert, seitdem wir in unser größeres Haus umgezogen sind. Udo, mein Schwager, ist geistig behindert, er wohnt in einem Wohnhaus für Behinderte, in der Behindertenwerkstatt montiert er Lampen.
 
Es war gegen 15 Uhr, als Udos Geburtstagsgäste hereintrotteten, einer nach dem anderen. Alleine oder zu mehreren wurden sie von ihren Eltern gebracht – wobei sich die Eltern abgesprochen hatten, wer wen mit welchem Auto mitnahm und wer wen zurückbringen würde. Im Flur begrüßten sie sich, im Wohnzimmer sammelten sie sich, wo Udo seine Geschenke auspacken durfte: eine große Kaffeetasse, einpackt in Klarsichtfolie mit Sternchenmuster, ein Duschgel mit Granatapfel-Extrakten, ein Deodorant, ein dunkelrotes Sweat-Shirt, Gutscheine und vieles mehr. Udo strahlte.

Seine Geburtstagsgäste, die Udo eingeladen hatte, kannten sich über verschiedene Behinderten-Treffen. Alle waren Mitte 40 und hatten sich über Jahrzehnte hinweg zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengeschlossen. Gegenseitig luden sie sich zu den Geburtstagen ein, einmal monatlich wurde gekegelt. Weitere Aktivitäten koordinierten die Kirchen – das waren unsere Kirchengemeinde und unsere Nachbar-Kirchengemeinde. Viele Ehrenamtliche halfen mit. Sie organisierten feste Behinderten-Kreise, Besichtigungen von Museen, Schiffstouren, Besuch der Karl-May-Festspiele, Ausflüge ins Phantasialand und vieles mehr ….
 
Das gemeinsame Kaffee-Trinken ging los. Mit einer blütenweißen Tischdecke gedeckt, an jedem Platz ein bemalter Nikolaus aus Holz mit einem Säckchen voll Süßigkeiten, bot unser Wintergarten ausreichend Platz für die insgesamt 9 Geburtstagsgäste.
 
Zögernde und schleppend entwickelte sich die Kommunikation, denn die Behinderung bremste mitunter das Ausdrucksvermögen und die Sprache. Sätze waren unvollständig oder abgehackt. Einige mussten mehrfach ansetzen, um einen Satz auszusprechen. Daher wurde viel ohne Worte kommuniziert. Blicke wanderten durch den Wintergarten und fanden sich zusammen. Manche tippten ihren Nachbarn an, dass sie dawaren. Gesichter lächelten und fühlten sich wohl. Und natürlich war der Käsekuchen und die anderen Kuchensorten bestens gelungen und Kaffee und Kakao schmeckten ebenso.
 
Der Gesprächsstoff, über den geredet wurde, ähnelte sich ohnehin. Heute Abend spielte der FC Bayern gegen Borussia Dortmund, das Topspiel der Fußball-Bundesliga. Konnten die Dortmunder die Bayern stoppen ? Mönchengladbach spielte gegen Bremen. Konnten die Gladbacher ihre Erfolgsserie fortsetzen ? Viele Geburtstagsgäste gingen fleißig ins Kino und waren mit den neuesten Filmen auf dem Laufenden. Fluch der Karibik lief heute Abend im Fernsehen, und viele freuten sich, diesen Kinofilm im Fernsehen schauen zu können.
 
Gegen 16 Uhr klingelte das Telefon. Das Wohnhaus am Deich, in dem außer Udo auch Linda wohnte, meldete sich. Linda saß dort bereits seit einer Stunde und wartete darauf abgeholt zu werden. Bei der Organisation, wer wen zu Udos Geburtstag mitnahm, war sie offensichtlich vergessen worden. Der Kommentar des Wohnhauses war: „Das muss wohl ein Missverständnis sein …“. Schnellstmöglich holte ich Linda und ärgerte mich, dass sich niemand im Wohnheim darum gekümmert hatte..
 
Wie ein solcher Geburtstag gestaltet werden konnte, dazu waren infolge des Grades der Behinderung die Möglichkeiten etwas eingeschränkt. Im letzten Jahr hatten wir eine Nachtwächterführung in Stadt Blankenberg organisiert. Das liegt etwa eine halbe Autostunden von uns entfernt und eine Bekannte von uns hatte die Nachtwächterin mit Hellebarde und Laterne gespielt und hatte alle im Dunkeln durch das mittelalterliche Städtchen geführt. In diesem Jahr war Udo zu lange unentschlossen, so dass ein DVD-Film-Nachmittag die einfachste Variante war. Udo hatte sich für Avatar entschieden.
 
Unser Wohnzimmer hatten wir zu einem Heimkino umfunktioniert. Voran der Flachbildschirm unseres Fernsehers, Udos Geburtstagsgäste gruppierten sich um Couch, Sessel und Einzelstühle, die in zwei Reihen aufgestellt waren. In der hintersten Reihe gesellte ich mich dazu. Sogleich legte Stefan los: „Avatar ist eine der besten Filme, die David Cameron gedreht hat“ kommentierte er. Avatar sei noch besser wie Titanic, was er auch gedreht hatte. „Auch Peter Jackson ist ein toller Regisseur“ fügte Stefan hinzu. Peter Jackson hatte King Kong gedreht. Stefan überraschte mich, dass er bei Kinofilmen Kenntnisse hatte, die meine eigenen bei weitem überragten. Stefan hatte Down-Syndrom und war gegenüber den anderen Behinderten ein Phänomen. Er las Zeitung, konnte lateinische Zaubersprüche aus Harry Potter korrekt wiedergeben, in der Behindertenwerkstatt hatte er einmal über 700 Meter Kabel ermittelt, die pro Tag zur Lampenmontage gebraucht wurden. Da fehlte nur ein winziges Quentchen, um ihn als „normal“ oder „nicht behindert“ einstufen zu können. Schade, dass er nicht mit den fortgeschrittenen Therapien unserer heutigen Zeit heranwuchs, denn mittlerweile schafften es sogar Behinderte mit Down-Syndrom zu studieren …
 
Der Film war vorbei, und in unserem Wintergarten wurden Frikadellen mit Nudel- und Kartoffelsalat aufgetischt. Alle ließen es sich ordentlich schmecken,. Udo und Andreas genossen dazu ein Weizenbier aus einem hohen, schlanken 0,5 Liter-Glas. Alle blickten naxch vorne auf die nächsten Feiern. Vor Weihnachten knubbelte sich alles. Weihnachtsfeiern gab es in den Behindertentreffs, in der Behindertenwerkstatt, im Kegelclub und im Behindertenwohnheim. Geburtstage kamen erst im März nächsten Jahres. Eine Adventsfahrt auf dem Schiff fand leider nicht statt, weil sich zu wenige Interessenten gefunden hatten.

Udo grübelte herum, wie sich wohl die nächste Woche gestalten würde. Das Wohnheim hatte für ihn Urlaub angemeldet, weil sie Plätzchen backen wollten. Das war im letzten Jahr schon einmal so: Udo hatte auch eine Woche Urlaub, aber nur an einem Tag wurden Plätzchen gebacken. Die restlichen Tage saß Udo auf seinem Zimmer herum, ohne dass sich jemand aus dem Wohnheim um ihn gekümmert hätte. Würde dies in diesem Jahr wieder so verlaufen ?

Gegen 19.30 Uhr trudelten die ersten Eltern ein, um ihre Kinder abzuholen. Schade. Die Abschiede kleckern sich so dahin. Umarmungen beim Abschied. Die Gesichter strahlten und sie schwärmten von dem schönen Nachmittag. Sie freuten sich auf das gemeinsame Wiedersehen. Bei einer der zahlreichen Weihnachtsfeiern. Oder im nächsten Jahr beim nächsten Geburtstag
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Donnerstag, 17. November 2011

durch die Grafschaft nach Rheinbach

Nein, sie wollten mich nicht hereinlassen. Gerne wäre ich den Weg hinab geschlendert, doch ein Traktor passierte die Hofmauer; Arbeiter beluden den Anhänger mit Herbstlaub und abgesägten Ästen. Ein Schild mit der Aufschrift „Durchfahrt verboten, Privatgelände“ signalisierte mir, dass ich stehen bleiben musste.

So konnte ich das Schloss Gudenau nur von der Ferne aus betrachten. Die Größe der Wasserburg war mit ihren vier Türmen imposant. Verdeckt durch Hecken, Mauern und dem hohen Dach eines einstöckigen Wohnhauses, konnte ich die Großzügigkeit der rückwärtigen Gartenanlage nur erahnen. Dort wäre aber Platz gewesen für barocke und geometrisch perfekte Gartenanlagen – ähnlich wie in Brühl oder in Benrath bei Düsseldorf.

Ich hatte Lust auf eine etwas längere Radtour, sozusagen zum Jahresausklang. Die Tage wurden zunehmend kürzer, dunkler und kälter. Und tief in den November hinein, wurde es entweder vom Büro aus oder von zu Hause aus schwieriger, solche zeitlichen Freiräume zu organisieren.

Eine weniger ambitionierte Tour mit nicht allzu vielen Höhenmetern hatte ich mir diesmal ausgewählt. Ein ordentlicher Anstieg von Pech nach Villip, knackig und kurz der Anstieg hinter Gudenau, dahinter öffnete sich der Blick über die Grafschaft bis ins Ahrtal hinein. Schräg herabhängend schien die Sonne an diesem spätherbstlichen Tag, und sie blendete so sehr, dass die entgegenkommenden Autos wie graue Mäuse im prallen Licht der Straße vorbeihuschten.

Die Grafschaft, das war ansonsten eine Ansammlung von Dörfern ohne nennenswerte Akzente, wenn ich mit dem Auto auf der A61 zwischen den Kreuzen Meckenheim und Bad Neuenahr dahinrauschte. Beim Fahrradfahren zeigte die Landschaft nun ihre Konturen: Ich hatte den Eindruck, dass die Dörfer fast nur aus Bauernhöfen bestanden. Manche luden zum Einkaufen ein, die Hofläden waren geöffnet, an den Toren lockten Äpfel oder Kürbisse. Wenn die Tore offenstanden, sah ich einen beachtlichen Maschinenpark – Traktor, Mähdrescher, Egge, Kartoffellegemaschine und vieles mehr. In der Grafschaft kamen nicht mehr allzu viele Höhenmeter zusammen. Das Gelände buckelte sich, Felder, Apfelbäume und Waldstücke wechselten sich ab, Ausblicke und Perspektiven veränderten sich ständig.

Gelsdorf: Vor dem Ort stapelten sich, fast so lang wie ein Sportplatz, die Zuckerrüben und warteten auf ihren Abtransport. Die Hauptstraße führte an der Kirche vorbei. Ich hielt an, und der Kirchturm erinnerte mit seinen Bruchsteinen an Kirchen, wie ich sie in den Ardennen oder in der Eifel gesehen hatte. Und die Eifel lag ja ungefähr einen Steinwurf von Gelsdorf entfernt, nämlich direkt dort, wo die Autobahn auf der B257 endete. Auf dem Erinnerungskreuz vor der Kirche las ich die Jahreszahl 1848. Ein Herr Fasbender – möglicherweise der damalige Pastor von Gelsdorf – war in diesem Jahr in einem Grab vor der Kirche beerdigt worden.

Kurz hinter Gelsdorf verließ ich Rheinland-Pfalz und kehrte nach NRW zurück. Meckenheim und Rheinbach, das waren die nächsten Städte. Der Rückenwind unterstützte mich, das Gelände war nun flach wie ein Brett, so dass ich auf der B266 so richtig Gas geben konnte. Zwischen Altendorf, Ersdorf und Wormersdorf wieder dieses sorgfältig gepflegte Landschaftsbild. Plantagen von Apfelbäumen, die abgeerntet waren und an denen noch das bunte Herbstlaub klebte. Dazwischen Obsthöfe, in denen nach der Apfelernte alles erledigt war. In dieses Landschaftsbild mischten sich zunehmend Baumschulen mit ihren schnurgeraden und genau ausgezirkelten Baumreihen hinein. Ich kam mir vor wie in unserem eigenen Garten zu Hause: Da hatte alles einen Plan, was wie angebaut wurde, jeder Quadratmeter wurde genutzt, insgesamt ein strukturiertes und vielschichtiges Bild.

In Rheinbach musste ich mich durch weite Flächen von Neubau- und Industriegebieten hindurch kämpfen. Wie Kopien in die Landschaft geklatscht, reihten sich linkerhand weiß gestrichene Doppelhaushälften aneinander. Rechterhand stocherte ich in der Gesichtslosigkeit des Industriegebiets herum: die Baumärkte OBI und Fassbender & Tenten reckten ihre Logos in den Himmel, an Handelsketten wie HIT oder Handelshof wehten Fahnen. Im Zentrum von Rheinbach gönnte ich mir dann einen Kaffee. In einer Bäckerei lümmelte ich mich an einem Stehtisch herum; ein Mann, dürr wie eine Bohnenstange, stopfte neben mir einen Stück Sahne-Nuss-Kuchen in sich hinein.

Auf dem Heimweg warf ich auf der der Autobahnbrücke bei Peppenhoven einen Blick zurück: zögernd sank die Sonne auf die Hänge der Eifel herab, in vielleicht einer halben Stunde würde sie untergehen. Ihre Sonnenstrahlen wärmten kaum noch und ließen einen  Hauch von Winter aufkommen. Und wenn ich zu Hause ankommen würde, würde es bereits dunkel sein.

Mittwoch, 16. November 2011

St. Martin

Man rutscht da so herein. So wie bei einer dienstlichen Besprechung. Der Termin wird abgearbeitet, man kommt und geht wieder auseinander. Die Gesichter sind austauschbar, das Thema vorgegeben und sinnvoll wäre auch irgendein Ergebnis. Mit dieser inneren Einstellung ließ ich den St. Martins-Zug in Rheidt auf mich zukommen.

16.45 Uhr Treffen auf dem Schulhof. Gegen 16 Uhr stand unsere Kleine mit ihrer Laterne auf dem Flur. Die Laterne, die sie in der Schule gebastelt hatte, war schlecht zusammengeklebt, so dass der kugelförmige Lampenschirm hin- und herbaumelte. Schlimmstenfalls hätte die Laterne durch die brennende Kerze in Flammen aufgehen können. Ich bemerkte dies erst, kurz bevor wir das Haus verließen. Ich war genervt und in einer hastigen Aktion klebten wir den Lampenschirm mit jede Menge Klebstreifen fest. Unserer Kleinen war dies egal. Aus voller Brust sang sie:

Ich geh mit meiner Laterne
Und meine Laterne mit mir
Da unten leuchten die Sterne
Da oben leuchten wir ….

Ich verspürte eine innere Unlust, diesen Termin wahrzunehmen. Zudem sah ich die Adventszeit mit den sich anhäufenden Terminen auf uns zukommen. Zeit würde uns jetzt und in den nächsten Wochen an allen Ecken und Enden fehlen.

St. Martins-Zug. 16:45 Uhr auf dem Schulhof. In diesem Jahr nahm unsere Kleine das erste Mal am St. Martins-Zug durchs Dorf teil, nachdem sie in die 1. Schulklasse eingeschult worden war. Mit der Masse von Kindern glich der Schulhof einem Ameisenhaufen. Trotzdem fand unsere Kleine rasch ihre beste Freundin aus ihrer Schulklasse; ihre Schwester und ihren Vater hatte sie mitgebracht. Die Kinder sammelten sich bei ihren Klassenlehrerinnen, die Schilder mit den Klassenbezeichnungen in die Höhe hielten. Bevor es losging, hielt die Rektorin eine Ansprache, die sie wahrscheinlich im Jahresrhythmus routinemäßig abspulte, was aber im allgemeinen Lärm unterging. Schließlich spielte am Ausgang des Schulhofs eine Musikkapelle, und die Schulklassen setzten sich in chronologischer Reihenfolge vom vierten bis zum ersten Schuljahr in Bewegung.

Im Mittelpunkt stand das St. Martins-Feuer, das hinter dem Werth, einem Rheinarm, in etwa 60 bis 70 Metern Entfernung loderte. Die Kinder bewegten sich in Trippelschritten vorwärts, sie staunten und waren beeindruckt. Von der wohligen Wärme des Feuers ließen sie sich ergreifen. Die Flammen schossen in die Höhe und ergossen sich in den Himmel. Hinter dem Rhein war die Sonne längst abgetaucht, und in der beginnenden Nacht war es so gut wie stockfinster.

Der Zug der Laternen bildete ein ständig wechselndes Farbenspiel. Senkrecht hochgehalten an ihren Holzstöcken, zeigten die Kinder stolz ihre Laternen. Die Papierkugeln mit ihren aufgeklebten Papierstücken schillerten vor Farbenpracht. Das Lichterspiel variierte mit dem Zugweg: am Ende des Rheinarms machten alle Laternen eine Kehrtwendung, dann ging es über den Damm, über dessen hohe Betonmauer der Blick zum Feuer zurückschwenken konnte. Der Zug bog nach rechts in eine Gasse ab, in dessen Verengung das Farbenspiel an Dichte und Glanz gewann. Die Lieder der beiden Musikkapellen rissen nicht ab. Sie spielten: „Ich geh mit meiner Laterne“ … „ Im Schnee da saß ein armer Mann„…. oder „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterrne ….“ Der Zug schob sich durchs Dorf und die meisten Kinder sangen fleißig mit.

Ich war gerührt vor soviel Tradition, die ich ansonsten vermisste: ein Gefühl von Geborgenheit, Gemeinschaft und Geselligkeit, und das zusammen mit all den Kindern. Und an einer Straßenecke zeigte sich schließlich der St. Martin: er war ein gut aussehender Nachfolger des heiligen Martin von Tours, saß rittlings auf seinem Pferd, über seine Hände hatte er weiße Handschuhe übergestreift, silbrig schillerte der Helm auf seinem Kopf. Und sein roter Mantel, den er zu teilen bereit war, hing von seinen schmalen Schultern herunter.

Doch wer gedacht hatte, dass alles vorbei war, nachdem die Kinder in die Schule zurückgekehrt waren und ihren Weckmann bekommen hatten, der sah sich getäuscht. Nun ging erst richtig los. Es wurde geschnorzt. Mit ihrer besten Freundin und ihrer älteren Schwester zog unsere Kleine los. Zuerst war der Pastor an der Reihe, der in diesem Jahr keine selbst gebackenen Plätzchen verteilte, sondern „normale“ Süßigkeiten. „Ich geh mit meiner Laterne …“ sangen sie los, und der Pastor sang voller Begeisterung mit. Danach orientierten sich die Kindern an den Häusern, an denen die Außenbeleuchtung oder andere Lichtquellen brannten – Lichter in Stehlampen oder Tonkürbissen. Unser Rückweg führte quer durchs Dorf, so dass jede Menge St. Martins-Lieder gesungen werden mussten.

Zu Hause angekommen, hatte unsere Kleine einen ganzen Beutel von Süßigkeiten eingesammelt. Gummibärchen, Schokolade, Plätzchen, Lutscher, Bonbons in unterschiedlichen Variationen und Geschmacksrichtungen. Sie schüttete alles auf dem Tisch in unserer Essecke aus und stand staunend davor. War das schön ! Anschließend ging es in Bett, denn nach so einem langen Fußweg war unsere Kleine erschöpft, platt und müde.

Ich musste mir selbst eingestehen, dass ich völlig daneben gelegen hatte, den St. Martin in dieselbe Kategorie geschoben zu haben wie meine dienstlichen Besprechungen. Auch ich brauche etwas bodenständiges und verwurzeltes, nicht nur diesen irrsinnig schnellen Flug unserer Zeit mit diesen Veränderungsprozessen, Anpassungen und Flexibilitäten. Mittendrin brauche ich auch etwas, das bleibt: beispielsweise ein St. Martin  – mittlerweile ist er fast 1.700 Jahre alt ….

Freitag, 11. November 2011

Morgenstimmung über dem Siebengebirge



Soeben hat die Sonne den Kampf gegen die zähe Nebeldecke gewonnen. Über dem Siebengebirge, das sich schemenhaft und unscharf abhebt, ist sie aufgegangen. Auf den zappelnden Wellen des Rheins spiegelt sich das Sonnenlicht und erzeugt ein Lichterspiel, in das sich die Uferpromenade der Rheinaue hineinbiegt ...

Donnerstag, 10. November 2011

Reifenwechsel

Ihr Arbeitsplatz war wie ein kleiner Kasten, dort, wo die Aufträge der Reifenwerkstatt angenommen wurden. Während die Kunden es sich im Vorraum an einem Tisch mit Stühlen und Zeitungen bequem machen konnten, quetschte sich ihr Arbeitsplatz zwischen eine brusthohe Empfangstheke und der dahinterliegenden Wand.

Vor dem Beginn der winterlichen Jahreszeit hatte ich mich entschieden, die beiden abgefahrenen Vorderreifen unseres metallic-farbenen VW Vento durch zwei neue zu ersetzen. Das Reifenprofil der beiden Hinterreifen war noch ausreichend tief, so dass dies günstiger war als vier neue Winterreifen.

Ich musste warten. Die Büroangestellte, eine Frau mit Lockenkopf im mittleren Alter, die sich ihren Stress nicht anmerken ließ, führte ein schier endloses Telefonat. Ich konnte Gesprächsfetzen heraushören: „Mindestens zwei Tage Lieferfrist …. wir können nur das Notrad montieren … jetzt ist eine Stoßzeit, in der alle ihre Winterreifen montieren lassen wollen … wir tun aber unser allerbestes, um unsere Kunden zufriedenzustellen … „. Als das Gespräch beendet war, musste ich die beiden vor mir wartenden Kunden abwarten. Beim nächsten Kunden blätterte sie schier endlos in ihrem DIA A 4-Notizblock herum, denn die Einträge, Vorbestellungen und Aufträge füllten Dutzende von Seiten. Ein PC mit Flachbildschirm stand zwar seitwärts von ihr, aber offensichtlich fand sie sich besser ihrer der Zettelwirtschaft zurecht. Der nächste Kunde merkte an: „Zwei Tage sind gut, in einer anderen Werkstatt hätte ich 14 Tage warten müssen“. Auch beim nächsten Kunden tat sie ihr bestes.

„Aha, Typ Goodyear 4 Seasons 164,“ bestätigte sie, als ich ihr meinen kleinen Notizzettel hingehalten hatte, auf dem Reifentyp und Preis in blauer Kugelschreiberschrift notiert waren. „Die Ganzjahresreifen sind da“. Gleichzeitig trat der Chef herein. Ich hatte ihn schon zuvor bewundert, wie er trotz seines massigen Körpers und seiner breiten Gestalt wie ein Wirbelwind durch die Werkstatt flitzte. Zielgerichtet schritt auf mich zu, den Notizzettel nahm er mir aus der Hand. Einsilbig deutete er mir zu: „Kommen Sie“. Wie mit dem Lineal gezogen, durchkreuzte er die Werkstatt von einem Ende zum anderen und meinte: „Nach dem Transporter“. Dabei hatte er seinen Kopf in einer knappen Bewegung zu mir zurück gedreht, wandte sich dann wieder ab und verschwand unverdrossen durch eine Türe im hinteren Teil der Werkstatt, der durch eine Wand abgetrennt war.

So stand ich da und wartete wieder. Transporter ? Tatsächlich, auf dem Parkplatz draußen entdeckte ich einen weißen 3,5-Tonner von Citroen, über dessen Seitenteile sich die blauen Schriftzüge einer Sanitärfirma erstreckten. Drinnen war auf der einen Hebebühne gerade war ein Mondeo aufgebockt. Der Kofferraum stand offen und vier Reifen in weißen Plastiktüten schauten heraus. Auf der anderen Rampe wartete ein Fiat Punto darauf, in die Höhe gewievt zu werden.

„Geben Sie mir Ihren Schlüssel ?“ tauchte unvermittelt ein hoch aufgeschossener Monteur mit kahlgeschorenem Kopf vor mir auf, nachdem der Mondeo seine vier neuen Winterreifen bekommen hatte. Ich war etwas verwundert, wieso ich meinen Autoschlüssel hergeben musste. Doch als er unseren VW Vento auf die Hebebühne bugsierte, wurde mir klar: das Manöver erforderte eine Menge Geschick und Präzision, denn die Fläche zum Drauffahren war schmal und stieg fast im Winkel von 45 Grad an. So war nun endlich unser Auto mit dem Reifenwechsel an der Reihe.

Eine zeitlang tat sich nichts, bis zwei Monteure fast so schnell wie sie gekommen waren, wieder mit den abmontierten Vorderrädern durch die Türe im hinteren Teil der Werkstatt verschwanden.

Ich erwartete, dass die Vorderreifen montiert würden, doch anstatt dessen schritt der Monteur mit dem kahlgeschorenen Kopf aus dem hinteren Teil der Werkstatt geradewegs auf mich zu und signalisierte:
 „Ihr Reifenprofil an den hinteren Reifen ist unregelmäßig. Haben Sie beim Fahren davon etwas bemerkt ?“ Ich war irritiert, beim Autofahren war mir nichts aufgefallen. „Sollten die Reifen hinten auch noch gewechselt werden ?“ fasste ich nach und dachte an eventuelle zusätzliche Kosten. „Nein, nur dann, wenn man es beim Fahren bemerkt. Sie haben ein sogenanntes Sägezahnprofil, weil die Reifen nicht einmal jährlich von vorne nach hinten und umgekehrt gewechselt worden sind.“ Das war typisch für mich, nämlich  meine Schludrigkeit, Schlamperei oder Vergesslichkeit, wenn ich an etwas denken muss und wenn etwas mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Normalerweise stand ich zu meiner Art, dass nicht alles haargenau und korrekt sein musste. Doch diesmal ärgerte ich mich. „Es gibt Autos, da kann dieses Sägezahnprofil ein Rubbeln oder Vibrieren erzeugen, wobei der das Wort „kann“ betonte. Man glaubt, auf den Reifen eines Traktors fahren …“ setzte er hinzu. Nein, so etwas war definitiv nicht der Fall, und ich beruhigte mich.

Wie aus dem Nichts erschienen aus dem hinteren Teil der Werkstatt wieder die Arbeiter, beladen mit zwei auf Felgen montierten und aufgepumpten Vorderreifen. Ein paar routinierte Handgriffe, herumpustend und mit metallischen Preßschlägen verrichtete der Schlagschrauber seine Arbeit. Abschließend fuhr der Monteur unseren VW Vento nach draußen und ich bekam den Schlüssel zurück.

Auf der Rückfahrt nach Hause war die Fahrt wieder ganz normal. Ruhig glitt das Auto mit seinen neuen Vorderreifen durch die Landschaft dahin. Das Sägezahnprofil war zahm, und ich dachte auch an die verausgabten 170 €, was nun ein weiteres Loch in unsere leere Haushaltskasse reißen würde.

Dienstag, 8. November 2011

Sonnenaufgang über Vilich



Endlich ! Heute bin ich seit mehreren Wochen wieder mit meinem Trekking-Rad zur Arbeit gefahren. Die Kette war durchgerissen, die Zahnkränze hinten und vorne mussten erneuert werden. Während der Herbstferien war nun mein Trekking-Rad repariert worden.

In unaufhaltsamen Tempo ist der Herbst fortgeschritten. Stetig, mit der Mechanik eines Uhrwerks, hat der Wind in den vergangenen Wochen die Blätter fortgeweht. Nur noch zaghaft hängt das Laub zwischen den Bäumen. Die Blätter sammeln sich am Rand des Fahrradwegs und häufen sich zu einer zentimeterdicken Schicht an.

Die Sonnenauf- und -untergänge sind für mich zu dieser Jahreszeit der Höhepunkt des Tages. Nebelschwaden noch über der Sieg. Wie ein zäher Schleier klebt der Nebel auf dem Wasser und verschwindet hinter dem Ufer unversehens. Zwischen den Bäumen dann ein erstes vorsichtiges Heraustasten der Sonne. Ein Stück weiter, hinter der Autobahnbrücke, ist sie über Vilich aufgegangen. Kräftig hebt sich ihre knallig gelbe Scheibe von den Feldern ab, über die sich noch zarte Dunstschwaden verirren. Die Häuser von Vilich verlieren sich in der Ferne. Nur der weiße Kirchturm sticht als markanter Punkt heraus. Blaß und leer wirken die ansteigenden Hänge des Siebengebirges im Hintergrund. Ein Panorama, das mich antreibt in den beginnenden Tag hinein.

Weiter den Rheindamm entlang, wo sich die aufgegangene Sonne zwischen den Häusern in Schwarzrheindorf versteckt. Ab ins Büro. Werde ich nach der Arbeit auch einen solchen schönen Sonnenuntergang erleben können ? Wenn ich rechtzeitig das Büro verlasse …. schau’n wir mal …..