wer bin ich ? ich heiße Dieter

Freitag, 31. August 2012

zufällige Begegnung


Wahrscheinlich schleppte ich noch einen Rest Müdigkeit mit mir herum. Vorsichtig schlüpfte mein Trekking-Rad an der rot-weißen Absperrung vorbei. In der morgendlichen Frühe blickte ich gleichgültig vor mich hin. Noch ein wenig wie im Halbschlaf, zogen Bilder der Monotonie an mir vorbei: rechterhand die Endlosreihen von parkenden Blechkarossen, linkerhand das stabförmige Muster des Zauns, der zu einem Kindergarten gehörte.

Meine Augen suchten, tasteten sich vorwärts. Zwei andere Fahrradfahrer, dessen Konturen verschwammen, fuhren knapp an mir vorbei. Zuerst registrierte ich die beiden Fahrradhelme, die mit dem lila Streifen in der Mitte und weißen Untergrund identisch aussahen. Dann sah ich für den Zeitraum einiger Sekunden die beiden Gesichter vor mir: ergrautes Haar legte sich über den Kopf des einen Gesichtes, das andere Gesicht dominierte die fette Umrandung einer Hornbrille. Regungslos klammerte ich mich am Lenker meines Fahrrads fest und fuhr weiter.

Sie stoppten an der rot-weißen Absperrung. Wie durch einen Geistesblitz stoppte ich in demselben Moment. Kennst du doch ? Hast du irgendwann mal gesehen ?

„Dieter !“
„B …. „
„B …..“
Es war die B-Familie. Die Vornamen von Mutter, Vater und den beiden Söhnen begannen jeweils mit „B“. Der letzte Besuch lag sage und schreibe 11 Jahre zurück. Zwischendurch war es still geworden. Das letzte Telefonat lag mehrere Jahre zurück. Zufällig waren wir uns einmal beim Einkaufen im Kaufhof begegnet, als unser kleines Mädchen noch im Kinderwagen lag. Ich hatte eine e-Mail-Adresse, aber zum e-Mail-Schreiben war ich nicht gekommen.

Ihre beiden Jungs gingen auf die Gesamtschule. Ihr jüngerer Sohn war nun in die fünfte Klasse gekommen, so dass sie gemeinsam mit ihm mit dem Fahrrad den Schulweg gefahren waren. Anschließend fuhren sie mit dem Fahrrad zur Arbeit weiter, das war vielleicht fünf Minuten von dieser Stelle entfernt.

Mit den nackten Füßen in den Birkenstock-Sandalen und ihrer Funktionsbekleidung kam sie mir durchaus sportlich vor. Im Keller unter den Büroräumen gäbe es sogar Duschen, erzählte sie mir. Mit Stoffhose und Hemd, war er hell, freundlich, entsprechend den sommerlichen Temperaturen gekleidet. Vor allem unter dem Kinn, war sein Gesicht übersät mit Bartstoppeln. Abwägend, klar formulierend, artikulierten sich die Worte in seiner Stimme.

Wie so viele andere Menschen, litten sie unter chronischem Zeitmangel.

„Fast alle Wochenenden sind wir unterwegs …
… zu seinen Eltern nach Westfalen – Bad Oeynhausen
… zu meinen Eltern nach Aachen … „
„Hat doch etwas positives, wenn man sich im familiären Bereich gut versteht. Keine Missstimmungen. Keine Verpflichtungen, die man als lästig empfindet“ entgegnete ich.
„Und in der Kirche – Kommunionunterricht – sind wir noch aktiv.“
„Kein Bekanntenkreis ? “ mutmaßte ich.
„Praktisch nicht.“

Wir plauderten über dies und das. Wie groß die Kinder geworden sind. Wie es beruflich aussieht. Übers Fahrradfahren. Dass ich eine Blog-Seite habe. Dass sie keinen Bekanntenkreis hatten, hatte sich in mir festgesetzt. Ich stocherte in mir herum, denn das Familienleben war bei uns nicht in dieser Intensität ausgeprägt. Aber ich wusste auch nicht, wie gesund oder alt oder krank ihre Eltern waren. Schließlich verplapperten wir uns, so dass die Zeit dahin schmolz. Wir alle wollten weiterradeln in unsere Büros.

„Dann stehen wahrscheinlich die Aussichten, dass wir uns nach langer, langer Zeit persönlich sehen, eher schlecht.“
„Brunchen …
… unser ältester Sohn meinte zuletzt, wenn wir schon nie Zeit haben: zum Frühstücken nehmen wir uns die Zeit. Und frühstücken ist gleich brunchen.“
„Wieso nicht ?“ stimmte ich zu.
„Haben wir zuletzt gemacht. Für 33 € in der Rheinaue …
… habe ich aber schon für 18 € gesehen. Es geht auch preiswerter.“
„E-Mail-Adressen haben wir ja. Dann können wir ja per e-Mail Terminvorschläge austauschen.“ beendete ich das Gespräch.

Wieder auf dem Fahrrad sitzend, durchdrang mich, was soeben geschehen war. Hinter der rot-weißen Absperrung waren die beiden verschwunden, als der Radweg in einem Knick den Kastanienbäumen gefolgt war. Schemenhaft fügten sich Erinnerungen in meinem Kopf zusammen. Von anderen Freunden, die wir fünf, sechs, sieben Jahre nicht gesehen hatten. Sie wiederzusehen, war ein Ritual gewesen, ein Festakt, an das es sich lohnte zurück zu denken. Und von anderen Freunden, die wir aus den Augen verloren hatten. Der Kontakt war eingeschlafen. Funkstille. Da war es uns nicht mehr die Mühe und den Aufwand Wert gewesen, ihnen hinter her zu rennen.

Ich bin gespannt, was aus der Idee des Brunchens wird. 

Donnerstag, 30. August 2012

Urlaub am Bodensee - Teil 5

Abschied


Es war eine verkehrte Welt. Mit meinen Arbeitskollegen hatte ich den Urlaubsplan nur so abstimmen können, dass ich eine Woche am Bodensee bleiben konnte, während die restliche Familie 14 Tage bleiben durfte. Doch die großen Kinder rebellierten. Der Bodensee war ihnen nicht exotisch genug, eher ein Urlaubsziel, wenn wir Eltern in Rente sind. Die Attraktionen, die wir bereits in früheren Urlauben besucht hatten, waren ihnen langweilig. Die Situation war absurd. Die großen Kinder waren gezwungen auszuharren. Und ich wäre gerne geblieben und musste abreisen.

Wieder auf nach Konstanz. 12.38 Uhr fuhr mein Zug ab. Ab Immenstaad nahmen wir das erste Schiff, denn der Wetterbericht hatte eine Gewitterfront angekündigt. Man hatte uns erzählt, wenn der See aufgewühlt und stürmisch ist, dass dann der Schiffsverkehr eingestellt wird. Der See war aber ruhig und zahm. Die Sonne versteckte sich hinter einem kompakten Wolkenschleier. Pünktlich lief das Schiff in den Konstanzer Hafen ein. Ungefähr anderthalb Stunden konnten wir noch durch Konstanz bummeln, bis mein Zug kam.

Wir hatten keinen Plan. Einmal quer durch die Altstadt und zurück. Bahnhofstraße, Rosgartenstraße, Wessenbergstraße. Ich musste auf die Uhr schauen, um gegen halb eins am Bahnhof zu sein. Mit den zahlreichen bemalten Hausfassaden erinnerte mich die Konstanzer Altstadt an Lindau. Sie war hübsch, doch nicht ganz so spektakulär. Homogen, in sich geschlossen, verband sie einen Einkaufsbummel mit einer harmonischen historischen Umgebung. Im zweiten Weltkrieg war nichts nennenswertes zerstört worden.

Schuhläden und Bekleidungsketten, Unterhaltungselektronik und Buchläden. Wir stöberten hier und da. T-Shirts in frischen Farben, Bücher über Kunst am Bodensee, die neueste Edition von Star Wars Battle Field, Sandalen für unser kleines Mädchen. Dass wir die Läden ohne Einkäufe verließen, fanden wir nicht weiter schlimm.

Ich studierte einige Fassadenmalereien. Es mussten Szenen aus der Stadtgeschichte sein. Ein Zug mit einem Fahnenträger schritt voran. An der Spitze des Zuges knieten zwei Männer vor einem Herrscher nieder und schauten ehrfürchtig in sein Gesicht. Was geschah in diesem entscheidenden Augenblick ?

Zeit, diese Frage zu beantworten hatte ich keine mehr. Am Restaurant zum Elefanten nahte mein Abschied. Das war Wehmut. Und so verrückt, denn andere wollten nach Hause, und ich wäre liebend gerne geblieben. Keine lange Abschiedsszene, ein paar Mal all meine Lieben knuddeln. Dann strebte ich zum Konstanzer Bahnhof.

Es war ein Abschied auf Raten. Pünktlich um 12.38 Uhr fuhr der Regional-Express nach Karlsruhe los. Ich stieg in die obere Etage des Doppelstockwagens und genoss die Aussicht. Der Zug passierte die Brücke. Von dort aus gönnte man mir für einen kurzen Augenblick einen Blick auf den Hafen und auf den Bodensee. Dahinter erst Wohngebiete, dann Industriegebiete. Das war öde, platt, identitätslos, sinnstiftend alleine in der Produktion, wie sonst wo in Industriegebieten. Mitten in dieser industriellen Einöde hielt der Zug in Konstanz-Petershausen. Dann drehte der Zug zum See zurück. Er fuhr so nahe am Seeufer, dass sich die Insel Reichenau glasklar aus dem See herausschälte. Ich war hingerissen. Die romanische Basilika stach genauso deutlich heraus. Der Vierungsturm markierte genau das Herz der Insel.

Allensbach, der nächste Halt. Einige freistehende Einfamilienhäuser versperrten den Blick auf den See. Nie im Leben hätte ich vermutet, dass Allensbach am Bodensee liegt. Allensbach kannte ich nur von Meinungsumfragen, jede Menge Statistik, Zahlenkolonnen ohne Ende, Marktforschung, Einkaufsverhalten, Wahlprognosen.

Weiterfahrt. Der Blick zum gegenüberliegenden Ufer verengte sich. Schilfgewächse verdichteten sich am Seeufer, das seicht und flach ausglitt. Der endgültige Abschied nahte in Radolfzell. Schon am Bahnhof war nichts mehr vom See zu sehen. Danach sah ich ein letztes Mal ein Stückchen See. Wehmütig schrumpfte der Seeblick. Der Bodensee verabschiedete sich mit einem Bierzelt und einem Zieleinlauf, denn in Radolfzell fand an diesem Wochenende ein Triathlon-Rennen statt. Schließlich drehte der Regionalexpress nach Karlsruhe weg und steuerte auf den Hegau und den Schwarzwald zu.

Mittwoch, 29. August 2012

Urlaub am Bodensee - Teil 4

8.  32 Grad


Auf den ersten Blick ist die Konstanzer Fußgängerzone nicht anders geartet wie diejenigen in Krefeld, Ludwigshafen oder Mainz. Ständer mit Bekleidung locken vor Schaufenstern mit Soderangeboten. Zwischen gläsernen Fensterfronten geht es zu Ladenpassagen, in dessen Inneren die Vielfalt von Einzelhandelsgeschäften aufblüht. Lokale mit Außengastronomie laden zum Verweilen ein.

Eine Kleinigkeit essen. Erfahrungsgemäß waren in anderen Städten in Fußgängerzonen kaum gemütliche Restaurants zu finden. Dazu kam die Hitze in Konstanz. Der glühende Ball der Sonne schien fast senkrecht vom Himmel. Die Steinplatten in der Fußgängerzone warfen die Hitze zurück. Kein Schatten, denn die Hausfassaden lagen zu weit auseinander. 32 Grad zeigte die rote Digitalanzeige an der Raiffeisenbank. Müde und erschöpft schlurften unsere Füße vorwärts. Die Mittagssonne brannte auf unsere Köpfe.

Uns blieb ein Zeitfenster von etwas mehr wie eine Stunde. Gegen 14 Uhr würde unser großes Mädchen mit dem Zug aus Freiburg ankommen.

Zuvor war unser Zeitfenster zusammengeschrumpft. Unseren Aufenthalt in Konstanz hatten wir mit einem Besuch des Sea-Life-Centers verbunden. Die Sonne hatte auf den Flachbau mit der Alu-Fassade direkt neben dem Seeufer gebrannt. Wir waren in die angenehm kühle Unterwasserwelt des Sea-Lifes-Centers hinein geschlüpft. Ohrenqualle, Kompassqualle, Kreuzqualle … Seepferdchen, grüne Meeresschildkröte, Hecht, Katzenhai, Bodensee-Felchen – wir waren fasziniert von dieser Artenvielfalt unter Wasser. Die Unterwasserwelt im mittelalterlichen Rotterdam oder im Bodensee – dahinter steckte eine Liebe zu Details, auch die Kleinigkeiten mit Leben erfüllen zu wollen. Krabben, Krebse, Seesterne, Tentakel – im interaktiven Berührungsbecken konnten wir diese Tiere fühlen und ertasten.

Eine Stunde lang dauerte unser Besuch. Im Freien schlug uns wieder diese Hitze ins Gesicht. Etwas trinken. Um uns gemütlich hinzusetzen, waren alle schattigen Bänke am Seeufer belegt. Daher mussten wir mit einem schattigen Plätzchen auf dem Rasen Vorlieb nehmen oder auf einer Bank in der prallen Sonne.

Nachdem wir die früheren Hafenanlagen mit ihrer großzügigen Außengastronomie passiert hatten und geradewegs in die Fußgängerzone strebten, fiel uns ein:
„Wir haben Hunger.“
„Eine Kleinigkeit essen.“
„Wo finden wir ein gemütliches Lokal ?“
„Eben am Seeufer sind wir an jede Menge von Lokalen vorbei gekommen. Wieso haben wir da nicht geschaut ?“

Zurück zum Konzilsgebäude, dessen Preise aber angesichts des geschichtsträchtigen Gebäudes aus dem Jahr 1414 jenseits von Gut und Böse lagen. Das war logisch und nachvollziehbar. Wieder zurück in die Fußgängerzone. Entsprechend den Temperaturen, platzten die Eiscafés aus allen Nähten. In der angrenzenden Bäckerei gab es nur Suppe, Quiche Lorraine oder Sandwiches, was unser Spektrum an Kleinigkeiten nicht ausreichend bediente.

Schließlich wurden wir fündig – das Casablanca. Das Innere war großzügig, die Preise waren bezahlbar, und zwischen Stuhlreihen und Tischen war Platz ohne Ende. Bei den heißen Außentemperaturen war die Eiskarte der Renner. Ansonsten genügten Pizza und Pasta unseren Ansprüchen.  

Die Ventilatoren unter der Decke kamen wir vor wie eine Anspielung auf Casablanca, das vor den heißen Sandwüsten Marokkos gedreht worden war. Die Ventilatoren verschafften Luft, als Schutzschild gegen die Hitze draußen. Einzelszenen führten uns durch den legendären Film aus dem Jahr 1942. Bilder in schwarz-weiß hingen auf der orange gestrichenen Wand. Humphrey Bogart und Ingrid Bergman wiederholten sich als Motiv, mal in ein Auto einsteigend, mal im Dreiergespräch, mal sich küssend. Doch plötzlich stellten wir einen Stilbruch fest: die Bilder in schwarz-weiß wechselten zu Marilyn Monroe und James Dean, die in dem Film Casablanca gar nicht mitgespielt hatten.

Nachdem wir unser großes Mädchen am Bahnhof nach ihrer Ankunft eingesammelt hatten, bestiegen wir das Schiff. Nach Hause zurück, in unsere Ferienwohnung. Das Schiff steuerte aus der Hafeneinfahrt heraus. Die Statue der Imperia verabschiedete uns mit den beiden Zwerggestalten, die sie in ihren Händen hielt. Wie auf der Hinfahrt, kühlte der Fahrtwind, als das Schiff losgefahren war. Stramm strich er über unsere Gesichter, die Schweißperlen lösten sich in ein Nichts auf. Der See schwebte unter uns dahin. Der Wind trieb die Segelboot vor sich hin, die sich im Zick-Zack-Kurs entfernten. Die Schiffsmotoren zerwühlten das Wasser. Mein Blick wanderte gleichförmig über den See, ich streckte ich meine Beine aus. Ruhig, gemächlich, ohne Hetzerei glitt das Schiff über den See. 


Meersburg kam ich Sichtweite. Dieses einzigartige Panorama mit der Burg, dem Barockschloß und der wunderschönen Altstadt näherte sich.

Samstag, 25. August 2012

mit der Fähre über den Rhein

Es war ein feierlicher Moment, als die Fähre losfuhr. Zuvor hatte der Fährmann zwischen die Pappelreihen geschielt, über das Rheinufer hinweg, wo die Straße in seichtem Bogen auslief. Letzte Autos hatte er auf die Fähre gewunken. Unentschlossen, zog die Fährbrücke hoch. Dann startete der Schiffsmotor, ein dumpfes Gedröhne schob die Fähre vom Ufer weg. In Stücken, Welle gegen Welle, arbeitete sich die Fähre vorwärts. Die Fahrt war viel schöner wie über die Autobahnbrücke: dort hastet der Rhein eilig vorbei, und so schnell, wie man auf der Brücke ist, ist der Rhein wieder verschwunden.



Auf dieser Seite der Fähre fließt der Rhein aufwärts.



Dort fließt er abwärts.

An der Siegmündung plantschen einzelne Badende mit den Füßen im Wasser.



Von oben überblickt der Fährmann alles.



Besonders zu Stoßzeiten drängen sich die PKW's zusammen.




Seit ungefähr fünf Jahren ist die Fähre bemalt worden.



Dann pendelte die Fähre ans andere Rheinufer zurück.

Ich fuhr weiter und blickte ein letztes Mal auf die entschwindende Fähre zurück.

Freitag, 24. August 2012

Roll over Beethoven

Wer Bonn besucht, begegnet früher oder später Beethoven. Es gibt keinen Zweifel: kein Bürger Bonns ist berühmter, Beethoven ist das Aushängeschild, man begegnet Beethoven an allen Ecken. Bonn und Beethoven gehören zusammen, so wie der Dom und Köln, der Hafen und Hamburg, das Oktoberfest und München. Die Quelle der Verbundenheit ist Beethovens Geburtshaus: 1770 in der Bonngasse geboren, hat sein Geburtshaus alle Verwüstungen und Zerstörungen überdauert. Es hat auch überdauert, dass Beethoven bereits mit 22 Jahren Bonn verlassen hat - Richtung Wien, wo er die größeren Möglichkeiten musikalischen Schaffens gesehen hatte. Dennoch ist Bonn Beethoven treu geblieben. Beethoven ist zur Starallüre aufgestiegen. Noten und Partituren sind allgegenwärtig.



Beim Fotografieren des Geburtshauses habe ich einen höchst seltenen Moment erwischt, nämlich ohne Touristen.



Mitten im Herzen Bonns überragt Beethoven den Münsterplatz.



Vor der Beethovenhalle fügen sich Fragmente gekonnt zu seinem Kopf zusammen.





Auf dem Straßenpflaster, in der Fußgängerzonen und an Häuserwänden ist Beethoven ständig präsent.

Besonders schräg finde ich Beethoven in einer Pop-Art-Darstellung auf einer Häuserwand.

Das Dumme ist: ich mag überhaupt keine Klassische Musik. Weder Beethoven, noch Mozart, Brahms, Bach oder Händel. Wer meine Blogs kennt, weiß, dass mindestens einen elektrische Gitarre die Musik aufmischen muss. Violine, Geige, Klarinette, Flöte, Fagotte, Pauken, Trompeten, diese Klangwelt kommt mir vor wie von einem fremden Planeten. Was verbindet mich mit Beethoven ? Die neunte Sinfonie, an die ich mich noch lebhaft zurückerinnere aus meine Schulzeit, denn mein Musiklehrer zeigte durchaus pädagogisches Geschick. Im Original von Chuck Berry, haben Electric Light Orchestra die Neunte Sinfonie Beethovens aufgegriffen in "Roll over Beethoven". 



Dann geht es nach meinem Musikgeschmack weiter. Rock, elektrische Gitarre, es fetzt, Jeff Lynn schwingt sich von einem Gitarrenriff zum anderen. Mit dem Akkord aus der Neunten Sinfonie von Beethoven beendet Jeff Lynn "Roll over Beethoven". Das ist Beethoven, wie ich ihn mag.

mit dem Rennrad durchs Ahrtal

Ich hatte mir vorgenommen, die 100 km zu knacken. Ganz habe ich es nicht geschafft. Je länger die Strecken, um so schwieriger wird die zeitliche Disposition, ein entsprechendes Zeitfenster freizuschaufeln. Inklusive Pausen bin ich bei 100 Kilometern immerhin 5 Stunden unterwegs.

Welche Strecke ? Wie viel Kilometer ? Wie schön ist die Strecke ? Wie anspruchsvoll sind die Anstiege ? Welche Windrichtung ? Das sind Fragen, die ich mir vor der Planung einer solchen Strecke stellen muss. Ich bin letzten Freitag geradelt, das war vor der großen Hitzewelle am Wochenende. Trotzdem haben mich die rund die 30 Grad ordentlich eingeheizt.

Die Streckenplanung ? Letzten Freitag hatte ich einen Kompromiss entwickelt. Meine 2-3 Standardstrecken gehen über 70 bis 80 Kilometer. Diese hatte ich erweitert um ein Stück, das ich während der Rad -und Touristikfahrt rund um Ahrweiler gefahren bin. Das war ein Stück durch das Ahrtal ,über die B257 aus dem Ahrtal hinaus, über die Kalenborner Höhe und dann nach Rheinbach. 95 km habe ich zusammenbekommen. Obschon ich die 100 km-Marke nicht geknackt habe. Das ist dies immerhin eine Hausnummer !

Zunächst durch die Grafschaft. Die Obstbau-Plantagen glänzen prall und rot vor lauter reifen Äpfeln in der Sonne, so rot, dass ich am liebsten hineingebissen hätte. Ab Beller hinab ins Ahrtal. Bad Neuenahr, hinter der weit sich öffnenden Autobahnbrücke der A61 ist das noch Vorgeplänkel. In Ahrweiler stellte ich fest, wie homogen sich die Stadtmauer um die Innenstadt legt. Das Ahrtal rückt enger zusammen, erste Weingüter drängen sich bis an die Straße.



Noch enger zusammen, habe ich in Walporzheim das Gefühl, geradezu überfallartig zwischen den Hängen des Ahrtals gelandet zu sein. Das ist hinter dem Ortsende, die Verkehrsampel steht auf Rot, die Eisenbahnbrücke wirft scharf gezeichnete Schatten. Und beim Anfahren, mit der Grünphase, spüre ich diese Wucht, mit der die Felswand sich senkrecht über dem Gebäude der Winzergenossenschaft erhebt. Rebstöcke quetschten sich talwärts zusammen. Zwischen den Felsen fügt sich eine sauber ausgemessene Terrassenlandschaft ein, wo die Weintrauben wie in einem Flickenteppich wachsen und prächtig gediehen. Das ist faszinierend, wie in der Enge jeder Zentimeter ausgenutzt wird. Das fast nördlichste Weinanbaugebiet Deutschlands blüht vor allem auf mit dem Spätburgunder Rotwein.



Tief in das Tal hat sich die Ahr eingegraben. Straße und Eisenbahnlinie schmiegen sich eng zusammen und schaffen sogar Platz für einen Radweg, der die Ahr begleitet. Längs der Bundesstraße reiht sich Lokal an Lokal, und auf manchen Sitzplätzen wimmelt es von Ausflugstouristen.

Dernau, ab hier wird sozusagen der Titel eines jeden Ortes durch die Weinkönigin angekündigt. Mandy Großgarten: das Ahrtal lächelt, und ich lasse mich gerne anstecken. Jung, dynamisch, hübsch, wie aus dem Ei gpellt, lässig, eine Krone mit Edelsteinen auf dem Kopf, die sogar glitzern, lässt sie mich daher schweben in der Leichtigkeit des Ahrtals. Das sollte sich wiederholen: bis Altenahr habe ich gelernt, dass wohl jeder Ort sein eigenes Brauchtum mit seiner eigenen Weinkönigin pflegt.

Nach Dernau geht es ausnahmsweise schnurgeradeaus, ausnahmsweise öffnet sich das Ahrtal zu den Seitenlagen, ausnahmsweise glaube ich vor Rech, dass die Weinberge in einer flacheren Neigung die Berghänge hinauf klettern. Doch in Rech knickt die Straße weg, alle Visionen sind verschwunden, der Innenhof einer Weinstube klatschte direkt vor eine Felswand, ein Campingplatz schrumpft zum Flussbett der Ahr zusammen. Mit einem Mal ist sie wieder da, diese Symbiose aus Felsen und Weinbergen, durch dessen Tal die Ahr gepumpt wird wie das Blut in den Adern.

Arndt, Simrock, Schurz, Kinkel, Immermann, die deutschen Romantiker, die sich im Sog der 1848er-Revolution zusammengefunden hatten, hat das Ahrtal fasziniert. Sie wanderten in Gruppen, sangen Lieder, schrieben Gedichte, verfaßten Schriften über das Ahrtal. Ungezügelt dreht die Ahr ihre Schleifen, die B266 dreht Kurven, die Weinberge sind wie in die Felsen gemeißelt. Und hoch auf dem Fels die Burgruine der Saffenburg.

„Wir gingen durch das Felsenportal in das enge Tal ein und konnten über Mayschoß bis zur Lochmühle fahren; von da gelangt man auf steilen Klippenpfaden zu der Ruine, welche das Ziel unserer Wanderung sein sollte. Graue, kraus ineinander -verschränkte Schieferwände, hin und wieder mit Kuppen von anderem Gestein bedeckt, sperren die Gegend zu. Am Fuß der Felsen liegen kleine Ortschaften verstreut, das Flüßchen windet sich an ihnen mäandrisch durch.“

So beschrieb Immermann im 19. Jahrhundert Mayschoß mit der Saffenburg.



 Ich folge der Ahr auf ihrer vielleicht atemberaubendsten Etappe. Links und rechts der Ahr wiederholen sich die Felsen als senkrechte Wand. Eine Abfolge von Burgruinen. Altenahr mit seiner Ruine erscheint noch herausgestellter, noch höher, noch klarer gegen den stahlblauen Himmel heraus geschält. Die Wendung kommt vor dem Tunnel. Einsam fließt die Ahr weg, schweift aus in lang ausholenden Mäandrern, während die Straße zurückdreht in den Tunnel hinein, über dessen Fels die Ruine noch einen Rest von Macht und Einfluss dokumentiert. Immerhin waren es rund 400 Jahre, die die damalige Burg den Grafen von Are die Herrschaft über das Ahrtal verliehen hatte. Weggesprengt durch napoleonische Truppen, bestaune ich aus der Ferne die ehrwürdigen Überreste, die meine Fantasie anregen. Burgruinen haben schon immer etwas mythisches, sagenumwobenes, unerklärliches gehabt.



Pause in Altenahr. Ich trinke zwei Weizenbier. Danach komme ich mir benebelt vor, denn ich muss das Ahrtal verlassen und rund 200 Höhenmeter bewältigen. Der weitere Verlauf der Steigung trifft mich eher wie ein Schlag. 30 Grad Außentemperatur sind auf dem Rennrad normalerweise unkritisch. Unerträglich wird es ab 32 oder 33 Grad. Doch da spielt diesmal die Sonne nicht mit. Irgendwie schafft sie es bei den 200 Höhenmetern ständig, genau die Lücke zwischen den Waldstücken mitten auf die B257 zu finden, so dass sie unaufhörlich auf meinen Kopf knallt. Mit dem Gesicht in die Sonne hineinschauend, bringt sie mich zum Wahnsinn. Die Erlösung kommt, als ich NRW erreiche. 



Kalenborn, mit einem leichten Auf und Ab folgen die Hügel dem Höhenzug. Dahinter die Landesgrenze NRW: der Straßenverlauf hat sich gedreht, und ein schützendes Dach von Schatten bildet sich über den Waldstücken. Ich bin wieder klar im Kopf, und ab hier ist wieder alles in Ordnung.

Von Todenfeld aus die wunderschöne Abfahrt nach Rheinbach, und in Rheinbach stoppt mich der Durst. Kurz Flüssigkeit auftanken im  Rheinbacher Brauhaus. Das Bier aus der hauseigenen Brauerei hat meine letzten Reserven aufgebaut, die ich bis zu Hause noch brauche.



Die 100 km-Grenze habe ich nicht geknackt. Fünf Stunden bin ich insgesamt unterwegs gewesen. Zu Hause habe ich geschwitzt ohne Ende. Ohne Steigung, hätte ich gut noch einige Kilometer dranhängen können. Dann wären es vielleicht sogar noch 120 km geworden. Doch soweit wollte ich noch nicht ausholen. Ich fühle mich nicht erschlagen. Meinen Durst lösche ich zu Hause mit einem Weizenbier.

Nicht platt und erschöpft, das ist die Hauptsache.

Mittwoch, 22. August 2012

Leen Huet & Jan Grieten - Nicolaas Rockox, Burgemeester van de gouden eeuw



Zugegeben, dem potenziellen Leser mag die Sprache ein Hindernis sein, denn das Buch ist auf niederländisch geschrieben. Aber es ist Wert gelesen zu werden, denn es steckt voller Spannung, es ist abwechslungsreich und es fesselt bis zum Schluß. Das Delikate ist: die Co-Autorin Leen Huet hat eine eigene Blog-Seite, auf der es vor lauter historischen und zeitgeschichtlichen Betrachtungen nur so wimmelt. Tiefsinnig, kann man an der Denkwelt dieser gestandenen Historikerin teilhaben, man kann bloggen, sich austauschen.

Die Co-Autorin Leen Huet hat in Belgien ein umfangreiches Werk veröffentlicht. Ihre Bücher befassen sich vor allem mit Geschichte und Kunstgeschichte, aber auch Romane und Anektoden hat sie geschrieben. Ähnlich wie Thea Dorn für Deutschland, ist sie in dem Buch „Mijn Belgie“ der belgischen Seele auf die Spur gekommen.

Antwerpen im 16. Jahrhundert. Unter der Hanse waren die Städte Flanderns zu den reichsten in Europa aufgestiegen, darunter auch Antwerpen. Handel und der Hafen bedeuteten eine wirtschaftliche Macht, die durch den Niedergang Brügges noch verstärkt wurde.

In dieser Blütezeit platzte die Reformation hinein und riss ganz Europa auseinander. Ideologischer Streit, Machtkämpfe, Gewalt, Uneinigkeit herrschte zwischen den religiösen Gruppierungen. Genau in dieser Epoche wurde Rockox Bürgermeister von Antwerpen und geriet mitten in die religiösen Frontlinien hinein.

Die Biografie lässt sich in zwei Teile unterteilen. Ausgehend von der geschichtlichen Großwetterlage, führt der erste Teil an Rockox‘ Persönlichkeit heran. Huet und Grieten erzählen in kleinen Episoden – meist zwei bis drei Seiten lang – wie die geschichtlichen Rahmenbedingungen ausgesehen haben, namentlich die Herrschaft der Spanier, die Bildung der vereinigten Provinzen der Niederlande und die Reformation. Darin eingebettet, erzählen Huet und Grieten Rockox’ Lebenslauf – Geburt 1560, Studium, Hochzeit mit Adriana Perez, Bürgermeister, Tod 1640 und vieles mehr. Mit der Kürze der Erzählsequenzen wird man als Leser nicht erschlagen mit geschichtlichen Fakten, Personen, Herrschern oder Orten.

Mitreißend sind diejenigen Kapitel geschrieben, in denen dramatische Ereignisse Antwerpen überfallen. Das war zum einen der Bildersturm 1566. Dort entlud sich eine Energie, die man ungefähr mit dem religiösen Fanatismus von radikalen Islamisten heutzutage vergleichen kann. Damals in Antwerpen sprengten sich keine Selbstmordattentäter in die Luft, anstatt dessen ließen protestantische Bilderstürmer den Haß auf Katholiken freien Lauf. Sie drangen in die Antwerpener Kirchen ein, schlug alles klein, was nicht niet- und nagelfest war, zerstörten Altäre, Bilder, Kanzel, Orgel und vieles mehr.

1576 folgte das nächste Unheil: die Spanier. Über mehrere Monate hinweg war den spanischen Besatzungstruppen kein Sold mehr gezahlt worden. Um die Liquidität wiederherzustellen, entschlossen sie sich, Antwerpen zu plündern. Die Stadt wurde ausgepresst wie eine Zitrone, alle Habseligkeiten kassierten sie ein. Auf Niederländisch ist das packend beschrieben:
„Toen de Spanjaarden de stad veroverd en al hun vijanden verjaagd of gedood hadden, zijn ze terstond de woningen van de burgers binnengevallen. Waar men de deuren niet meteen opende, schoten zij ze open of braken ze in stukken …“
Wie bereits nach dem Bildersturm, erholte sich Antwerpen irgendwann. Wohlstand und Reichtum blühten wieder auf.

Und als ob es mit all dem Unheil noch nicht genug gewesen wäre, folgt ein Ereignis, welches für Jahrhunderte des Schicksal besiegeln sollte: die Belagerung von Antwerpen. Diese war ein militärisch kompliziertes Unterfangen, da Antwerpen über die Westerschelde von der Nordsee aus erreichbar war. Zunächst mussten die spanischen Belagerer mehrere Forts bauen, dann mehrere Schiffe in die 300 Meter breite Durchfahrt hinein. Es wurden mehrere Schlachten gegen die Schiffe in der Durchfahrt geschlagen, doch es gelang kein Durchbruch. 1585 kapitulierte Antwerpen. 1585 war ein Jahr, das über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg das Schicksal Antwerpens bestimmen sollte. Die nördlichen niederländischen Provinzen hielten die Seeblockade aufrecht. Davon sollte Amsterdam profitieren, dessen Hafen die Bedeutung Antwerpens übernahm. Im Laufe der Jahrhunderte schrumpfte die Einwohnerzahl Antwerpens von 100.000 auf 40.000.

Bürgermeister ? Hierzulande mag man die Einstellung haben, dass sie mit ihren Allerweltsthemen in der Bedeutungslosigkeit versinken: mit welchen Steinmustern öffentliche Plätze gestaltet werden sollen, bis wann nachts Biergärten geöffnet haben dürfen, wie man den Brandschutzvorschriften in neu gebauten Umkleideräumen des Sportvereins genügen kann, wie Leuchtreklamen in Fußgängerzonen auszusehen haben usw.

Rockox war insofern anders, weil er über 26 Jahre Bürgermeister war. Dies in der damals reichsten Stadt Europas, in einer Blütezeit von Kunst und Wissenschaften und an wichtigen Schnittstellen zu bedeutenden Persönlichkeiten. Er war ein Netzwerker – so würde man heute sagen. Er schaffte es, maßgebliche geistige Strömungen in Antwerpen zu bündeln. Dabei war sein größter Coup, Peter Paul Rubens nach Antwerpen zu holen, wobei er die Künstler – nicht nur Rubens – teilweise finanzierte. Nicht nur wegen Rubens wurde diese Epoche als das „Goldene Jahrhundert“ (siehe Buchtitel: het gouden eeuw) Antwerpens bezeichnet. Von der Schaffenskraft dieser Epoche kann man in den Museen und Kirchen Antwerpens heutzutage noch sehr vieles bestaunen.  

Nach Rockox’ Tod folgt im zweiten Teil ein Perspektivenwechsel. Huet und Grieten erzählen über Rockox nicht in einem chronologischen Zeitverlauf, sondern sie nähern sich seiner Person über Gemälde. Sein früheres Wohnhaus, das Rockoxhaus, kann heutzutage besichtigt werden. Es beherbergt eine Schatzkammer der Malerei zu seiner Zeit. Auch das ist faszinierend zu lesen, wie sich Gemälde zu geistigen Strömungen verdichten. Diese Strömungen waren im ersten Teil aus der chronologischen Perspektive beleuchtet worden.

Beispiel für ein Gemälde ist „Der ungläubige Thomas“ von Rubens. Das Gemälde wurde über dem Grab der Eheleute Rockox in der Minderbroerskerk aufgestellt. Aus diesem Gemälde entwickeln Huet und Grieten eine Rollenbeschreibung, wie Antwerpen es unter seiner Mitwirkung geschafft hat, zersplitterte und verfeindete religiöse Gruppierungen zusammenzuführen. Nachdem zuvor protestentische bzw. calvinistische Bewegungen die Stadt im Griff hatten, wurde Antwerpen 1585 mit der Eroberung durch die Spanier katholisch. Folgerichtig wurde 1586 der katholische Bischof Torrentius eingeführt. Alle protestantischen Einwohner mussten Antwerpen verlassen. Eigentlich nicht anders als heute, geschahen Ausgleich und Gleichberechtigung über Verteilalgorithmen von Geldern. Dafür war Rockox mit seinem katholischen Magistrat zuständig. Er förderte gleichmäßig Kirchen und Klöster, Katholiken und Protestanten, größere und kleinere religiöse Gruppierungen. Dabei kam auch ein Konsens zustande, welche Religion in welcher Kirche den Gottesdienst feiern konnte. Unter seiner Mitwirkung wurden Fakten geschaffen, so dass letztlich die Ausweisung aller Protestanten obsolet war.

Ein anderes Gemälde „Die vier Philosophen“ beschreibt die geistigen Strömungen in Antwerpen – nach der Wortbedeutung der Renaissance als Wiedergeburt aus der Antike. Schon auf der Ebene der Religion werden unterschiedliche Strömungen zusammengeführt: Lipsius, ein Freund Plantijns, hat als Professor für Rechtswissenschaften und Geschichte vier Jahre an der protestantischen Universität in Leiden in den Niederlanden gelehrt und wird neben den Katholiken Schottus und Torrentius dargestellt. Lipsius’ Werk ist riesig und reicht von Philologie, Philosophie, römischer Geschichte, Politik über Rechtswissenschaften bis zu Seneca oder Tacitus. Plantijn, der humanistische Schriften wie „Spiegel der Gerechtigkeit“ verfasst hat, hat sogar eine orthodoxe Bewegung „Huis ter Liefde“ unterstützt, die durch eine Wiedertaufe die Seele der Menschen reinigen wollte. Ganz nebenher entwickelte sich Antwerpen unter ihm zu einem Zentrum des Buchdrucks. Torrentius, der bereits erwähnte Bischof von Antwerpen, hat, aufsetzend auf Horaz, lateinische Gedichte verfasst. Schottus war lange in Spanien an den Universitäten von Toledo und Zaragoza als Professor für antike Geschichte tätig. In Antwerpen übersetzte er das Werk des Spaniers Agustin, das sich mit der griechischen Antike befasste, ins Lateinische und ins Niederländische. Rockox war hier Netzwerker. Selbst hatte er keine Schriften verfasst, aber er brachte bedeutende Persönlichkeiten zusammen. In seiner Epoche wurde Antwerpen zu einem Zentrum des Humanismus, einer Bewegung, die ursprünglich von den Niederlanden ausging und in der Renaissance ganz Europa erfasste.

Pragmatische Toleranz – gekonnt fassen Huet und Grieten Rockox' Schaffen in diesem Begriff zusammen.

Beginnend beim Schatz von Mespelare und endend bei Rockox‘ Wohnhaus ist die Biografie spannend, anschaulich, nicht überladen mit Fakten und Details beschrieben. So wie ich über Marguerite Yourcenar geschrieben habe: eine Begegnung auf Augenhöhe mit den beiden Autoren. Danke an die beiden Autoren für die höchst lesenswerte Biografie ! 

Sonntag, 19. August 2012

Wochenrückblick #33


37 Grad
Heute war bei uns im Rheinland der heißeste Tag des Jahres. Wie haben wir es bei der Affenhitze ausgehalten ? Morgens im Haus alles durchgelüftet, damit noch ein bißchen Kühle in die aufgeheizten Räume eindringen kann. Ab mittags haben wir unser Wohnzimmer hermetisch abgeriegelt. Rolläden zum Wintergarten heruntergelassen, zur Straße genauso, Türe zum Flur offen gelassen, damit ein wenig kühle Luft aus dem Keller hochsteigen kann. Mitten im Wohnzimmer surrte unser Ventilator, der in Dauerbetrieb war. Wenn wir nachmittags nach draußen gegangen sind, traf uns die Hitze wie ein Schlag. Das war wie ein Backofen. Zeitweise hat unsere Kleine im Plantschbecken herumgeplantscht. Ich habe mich gerne in ihre Nähe gewagt, denn dann hat sie mich nass gespritzt.

80. Geburtstag meines Vaters
Letzten Sonntag hat mein Vater seinen 80. Geburtstag gefeiert, wobei er all meine Tanten und Onkel eingeladen hatte. Mit Ausnahme einer Tante, die vor 1 ½ Jahren an Krebs gestorben ist, leben diese alle noch. Mit Erstaunen haben wir festgestellt, welches hohe Alter alle erreicht haben. Auf dem Foto sind mein Vater und seine beiden Brüder zu sehen (81 bzw. 75 Jahre). Zwei weitere Geschwister, eine in Bayern wohnende Schwester (75) und eine weitere Schwester (wohnt an der Mosel; es besteht nur sporadischer Kontakt zu ihr), waren nicht gekommen. Nebenher haben wir festgestellt, dass vier der fünf Geschwister bereits Goldene Hochzeit gefeiert haben. Herzlichen Glückwunsch !



Im Fernsehen
In der Sendung „Abenteuer Forschung“ ging es um die knappe Ressource Wasser. Bei diesem Thema neige ich zur Bequemlichkeit, weil Wasser in unserem eigenen Lebensraum nicht knapp ist. Wenn irgendwo Wasser am anderen Ende der Welt knapp ist, argumentiere ich gerne stümperhaft: „Das Wasser kommt doch aus der Wasserleitung … „ In der Sendung wurde der Wassernotstand in zwei kritischen Ländern gezeigt, an die ich mich düster erinnerte. Erstens der Jordan. Er ist der Grenzfluss zwischen Jordanien und Israel. Beide Länder entnehmen ungehemmt Wasser für die Trinkwasseraufbereitung und für die Landwirtschaft, so dass der untere Flusslauf bis zu 98% ausgetrocknet ist. Das zweite Beispiel, nicht ganz so weit weg von unserer Haustüre, war Spanien. Rund 40% Spaniens (vor allem Zentralspanien und die Mittelmeerküste) sind von der „desertificacion“ (Wüstenbildung) betroffen. Verursacher sind eine intensive Landwirtschaft in Flusstälern, Waldrände und auch der Tourismus – wenn Hotelanlagen Trinkwasser verbrauchen, wenn Swimming-Pools befüllt werden müssen oder Golfplätze bewässert werden müssen. Bei solchen Themen ist es ein wenig so wie mit Kriegen in entfernten Ländern: je weiter entfernt, um so oberflächlicher ist unsere Wahrnehmung. Aufmerksamkeit wird erst dann erregt, wenn es uns doch – direkt oder indirekt – betrifft.

Berührungsängste
Ich meine, dies wäre ein spezifisch deutsches Problem. Menschen schieben sich auf Distanz. Möglichst nichts miteinander zu tun haben. Zuletzt habe ich zwei Situationen erlebt, die in eine andere Richtung gingen. Die erste war in der S-Bahn auf dem Weg nach Köln. Sonntags Nachmittags war die S-Bahn mehr oder weniger menschenleer. Ein Mann, etwas jünger wie ich, stieg ein, ich saß alleine auf einer Vierer-Bank, die Vierer-Bank gegenüber war noch frei. Der Mann sah mich an und meinte „wir haben die merkwürdige Angewohnheit, alleine sitzen zu wollen … darf ich mich zu Ihnen setzen ?“. Klar, ich bejahte. Danach kamen wir ins Gespräch und unterhielten uns über Bahnfahren, über Olympische Spiele und über Bahnverbindungen von Köln nach London. Die zweite Situation: bei der Rennradtour in der vorletzten Woche saß ich auf dem Marktplatz in Ahrweiler alleine am Tisch und trank mein Weizenbier. Da kam die Kellnerin ganz schüchtern zu mir, sie fragte und entschuldigte sich gleichzeitig: „Es geht leider nicht anders, kann sich dieses ältere Ehepaar an Ihren Tisch setzen ?“ Klar, auch hier bejahte ich. Wir kamen ins Gespräch, dabei stellte sich heraus, dass die alte Dame in einem Ort nur 15 Kilometer entfernt von mir aufgewachsen war. Zu Hause ist dies vom Prinzip her ähnlich. Alles ist Privatsphäre. Möglichst hohe Mauern um sich herum aufbauen, damit andere nicht hinein sehen können. Ich habe den Eindruck, dass der englische Philosoph Hobbes mit seinem Ausspruch „homo homini lupus“ den Kern getroffen hat: „der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“. Menschen wollen sich aus dem Weg gehen. Es herrscht wohl dieses negative Menschenbild vor, dass Begegnungen mit anderen Menschen nicht werthaltig sind, dass es verlorene Zeit ist. Diese beiden Begegnungen haben mir gezeigt, durchaus offener auf andere Menschen zuzugehen.

Song der Woche
Seit längerer Zeit habe ich zuletzt wieder in die niederländischen Radiosendung „Theater van het sentiment“ hinein gehört. Das ist eine dreistündige Radiosendung, in der Musik, Tagesgeschehen und Geschichten zu einem bestimmten Datum aus der Vergangenheit erzählt werden. In der letzten Woche ging es um den 16. August 1975. Der Moderator Marc Spakenburg erzählte, dass an diesem Datum zum 700. Stadtjubiläum erstmals die Sail Amsterdam stattfand. Ein Hörer, der damals dabei war, berichtete am Telefon, wie stolz er gewesen war, Segelschiffe wie die Amerigo Vespucci, die Alexander von Humboldt oder die Oosterschelde erlebt zu haben. Die Musikstücke erreichten ihren Höhepunkt, als „Autobahn“ von „Kraftwerk“ gespielt wurde. Kraftwerk hatten damals eine neue Musikrichtung aus rein elektronischer Musik geschaffen. Sparsam, auf ein Minimum reduziert, untermalten ihre Stimmen diese rein künstlichen Klänge. Emotionslos, brachten sie damit eine technische Kälte zum Ausdruck, weg von der Jahrtausend alten Maxime „der Mensch ist das Maß aller Dinge“ hin zu einem maschinen-gesteuerten Menschen. In „Autobahn“ hört sich genial an, wie Motorengeräusche imitiert werden und wie die Monotonie einer Fahrt auf der Autobahn in eine durchaus vielschichtige und variierende Klanglandschaft umgewandelt wird.




Samstag, 18. August 2012

im Drachenfelser Ländchen

Meine Rennradtour in der vorletzten Woche hat mich durch das Drachenfelser Ländchen geführt. Hinter Godesberg ist die Straße zunächst steil angestiegen, dann moderat, stetig den Berg hinauf. Das Drachenfelser Ländchen verdankt seinem Namen den Herren vom Drachenfels, die 1402 ihren Herrschaftsbereich auf linksrheinisches Gebiet ausweiteten. Durch den Rhein getrennt, steigen die Berge nicht so spektakulär an wie das Siebengebirge auf der anderen Rheinseite. Mit dem Rennrad bin ich knapp unterhalb des Hohenbergs geradelt. Mit 263 Metern ist dies die höchste Erhebung.



Der Ausblick auf das Siebengebirge auf den anderen Rheinseite ist gigantisch.



Sonnenblumenfelder wachsen am Straßenrand.



Ein Traktor besteht vollständig aus Stroh.



Ein Blickfang ist von weitem die weiße Kugel des FGAN (Forschungsgesellschaft für angewandte Naturwissenschaften), die zur Universität Bonn gehört und die militärisch genutzte Radarsystem beherbergt.



An einem Wegekreuz habe ich mein Rennrad abstellen können.

Hinter dem Drachenfelser Ländchen verläuft die Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz. Dieser Verlauf entstammt noch den Herrschaftsverhältnissen im 15. Jahrhundert. Hinter dem Drachenfelser Ländchen begann das Gebiet der Grafen von Neuenahr. Damals wie heute gehören diese Orte zur "Grafschaft".

The Doors - People are Strange

... befasst sich mit Menschen. 




So fremd, aber doch vertraut. Menschen im Alltag beobachten, so wie sie sind, wie sie sich verhalten, wie sie gekleidet sind, wie sie sich bewegen. Gerne bin ich ein stiller Beobachter.



Menschen machen es sich im Park bequem.



Ohne Handy oder Smartphone geht gar nichts mehr.




Menschen vergnügen sich im Biergarten.



Reges Treiben herrscht im Bahnhöfchen - einem früheren Bahnhof der Schmalspurbahn.



Menschen lümmeln sich im Eiscafé herum.



Ich lasse mir mein Spaghetti-Eis schmecken.

Und beobachte dabei die Menschen. Ich lasse mir mein Eis auf der Zunge zergehen. Und ich summe dabei die Doors: "People are Strange".

Mittwoch, 15. August 2012

Urlaub am Bodensee - Teil 3

7.  Immenstaad


Die Hütten des Dorfes ragten aus dem See heraus. Damit das Hochwasser sie nicht überschwemmte, baute man sie auf mannshohe Stelzen. Stege bildeten ein verzweigtes Netz: vom Ufer zu jeder einzelnen Hütte. Die Bewohner verkehrten mit Einbaumbooten auf dem See. Sie waren Jäger und Sammler, ernährten sich vom Fischfang. Für Getreideanbau war das unwegsame Gebiet um den See zu feucht, für Viehhaltung genauso.

So ungefähr war Immenstaad in der Bronzezeit besiedelt worden, das war vor 2000 Jahren. Freilich: bekannter sind die Pfahlbauten in Unteruhldingen, die zuletzt zum Weltkulturerbe ernannt worden sind. 1983 wurde in Immenstaad auch ein Pfahlbaufeld entdeckt, wodurch sich die Indizien verdichteten, dass die Vorfahren Immenstaads in der Bronzezeit sich genauso niedergelassen haben, wie man es sonst in Unteruhldingen besichtigen kann.

Urkundlich erstmals erwähnt wird Immenstaad 1094, als Herzog Welf IV. von Bayern dem Kloster Weingarten – ungefähr dreißig Kilometer entfernt - bedeutende Güter in Immenstaad schenkte. Da zu feucht, zu unwegsam, abseits der Handelsrouten, strategisch unbedeutend, hatten zuvor die Römer einen weiten Bogen um den Bodensee gemacht. Dies änderte sich, als germanische Volksstämme die römischen Besatzer aus Mitteleuropa vertrieben. In Süddeutschland waren dies die Alamannen. Wohl um 600-700 gründeten die Alamannen das heutige Immenstaad, dessen Namen mit Landestelle (Staad) des Fürsten Immo gedeutet wird.

Von der Bronzezeit über den Verkehr von Lastenseglern im Mittelalter bis zum heutigen Tourismus hat der See eine zentrale Bedeutung. Zwischen der Anlegestelle, der Uferpromenade und der Bachstraße, der Verlängerung der Anlegestelle, spielt sich heutzutage das maßgebliche Touristenleben ab. Man bummelt, flaniert, ist in Urlaubsstimmung, schaut in Geschäfte hinein, bevölkert Garten-Cafés, wechselt die Uferperspektiven, um den See in ständig neuen Variationen zu erleben.

Wenn sich das Kursschiff nähert, knistert es in mir voller Spannung. Der weiße Anstrich wirft fahle Muster auf die Oberfläche des Sees, die Umrisse des Schiffes verblassen in der Morgensonne. Ich lese „Bregenz“, dessen Buchstaben sich scharf am Bug zeichnen. Die Wellen formieren sich unaufgeregt. Der Wind streichelt das Wasser. Beschaulichkeit spannt sich auf bis zum Schweizer Seeufer.

Mit dem Schiff den Bodensee erkunden, das bedeutet, vom See aus die Breitseite an Landschaft kennen zu lernen. Entdeckung der Langsamkeit – so hatte Traude (Rostrose) einmal formuliert. Oder Entschleunigung – als Gegenbewegung zu Komplexität, multi-tasking, Technokratie, immer schnelleren Reaktionszeiten. Später, Richtung Hagnau und Meersburg, kleckert das Seeufer vorbei, im Zeitlupentempo. Nichts überstürzen. Das Panorama der Landschaft wechselt krass, doch in Ruhe kann ich mir all die mit Liebe in die Landschaft gezeichneten Details anschauen.


Als das Schiff zuvor den Immenstaader Anlegesteg verlassen hat, der mit 100 Metern der längste im gesamten Bodenseeraum ist, lasse ich die Kulisse von Immenstaad passieren. Vom Schiff aus betrachtet, ist dies vor allem eine Kulisse aus Ferienhäusern, die dicht an das Seeufer heranrücken und mal mehr, mal weniger Seeblick erhaschen. Dabei habe ich im Ort gelernt, dass Immobilien ein lukratives Geschäft sind. Das ist brav, artig, hübsch dekoriert, alleine die Kirche St. Judokus aus dem 15. Jahrhundert sorgt für eine historische Umgebung. Der dreieckige Kirchturm überragt den Ort. Die Mauern der Kirche erstrahlen in einem satten Weiß, so wie die übrigen Hausfassaden.


Dann, kurz vor dem Ortsende, schiebt sich eine Landzunge in den See hinein. Liegewiesen erstrecken sich bis zu einem gläsernen Kasten davor: das Aquastaad. 


Für mich bedeutet dies Badespaß zu jeder Jahreszeit, bei Sonnen- und bei Regenwetter, im Sommer wie im Winter, bei Hitze und bei Kälte. In dieser Badelandschaft haben wir uns alle gerne getummelt. 1983 hat man übrigens an dieser Stelle im See das Pfahlbautenfeld entdeckt. Steine geleiten die Badegäste in den See hinein. Baden im Bodensee, das ist ein Stückchen Meer, welches von den fernen Stränden des Mittelmeers herbei gezaubert wird. Palmen und Bananenstauden – die Vegetation liegt gar nicht so weit weg vom Mittelmeer. Doch der Weg in den  See ist steinig, die Sandstrände sind nicht bis hierhin transportiert worden. Meine Füße meckern, denn bis in den See müssen sie sich über Buckel von Steinen quälen.

Schwimmen, segeln, rudern, wandern, angeln, walken, Inline-skating, man ist hier aktiv in Immenstaad. Wie anderenorts am Bodensee, ist Immenstaad von sanftem Tourismus durchdrungen. Klötze von Ferienhaussiedlungen sind hier nicht zu sehen. Es werden keine Busladungen von Touristen ausgekippt. Massenanziehende Attraktionen wird man hier vermissen.

Radfahren habe ich bei den Aktivitäten noch nicht aufgezählt, denn Fahrradfahrer können sich wie im Paradies fühlen. Neben der Schifffahrt gibt es nicht schöneres, als den See mit dem Fahrrad zu erkunden. Das Netz an ausgeschilderten Fahrradwegen ist ausgezeichnet. Es gibt  einen durchgängigen Radweg, der ab dem Ortsende durch Weinberge führt. Ab Hagnau begleitet der Fahrradweg sogar das Seeufer. Wir hatten die Strecke früher einmal bis Überlingen geschafft, ohne Autoverkehr, auf separaten Radwegen, der See einen Steinwurf entfernt.

Tourismus, Weinbau, Obstanbau, Dornier-Werke, diese Elemente prägen Immenstaad. Die Umgehungsstraße trennt ungefähr die Domänen des Weinbaus und des Obstanbaus. Auf einem Apfel- und Weinspazierweg kann man beide Domänen erkunden. Hinauf auf den Hochberg, das ist ein 454 Meter hoher Aussichtspunkt.


Von dort aus kann der Blick die Fülle der Landschaft auskosten. Die Schattierungen der Schönheit entspringen im See, wo die Sonne im Wellenspiel glitzert, die Schönheit wandert über Weinberge, wo sich Reihen von Rebstöcken über Hügel schwingen, so weit das Auge reicht. Hinter der Trennlinie der Umgehungsstraße ergreift die Schönheit die Apfelbäume, wo Ende Juli die ersten Äpfel bereits geerntet worden sind. Waldstücke runden am Horizont die Gesamtkomposition ab, wo sie als Zickzacklinie zerlaufen.

Obst vom Bodensee – das ist ein Markenzeichen für die gesamte Region. Mittwochs Morgens ist Markttag, da wird Obst aus der Gegend verkauft. Gleich zwei Stände mit dicken, roten Äpfeln, die einen anlachen, stehen im Zentrum. Ich beiße in die Sorte „Elstar“ hinein. Der Apfel schmeckt saftig, süß, zerläuft auf der Zunge. Außerdem kann man an vielen Ecken Hochprozentiges kaufen: Obstler, Himbeergeist oder Kirschwasser. Denn so mancher Obsthof beherbergt eine Obstbrennerei. Doch da kann ich leider nicht allzu viel mitreden: bei Bier oder Wein endet meine Leidenschaft für einen guten Tropfen.


Ein Stück weiter, kurz vor dem Anlegesteg, kommt südländisches Flair auf. Eine Bühne, auf der Veranstaltungen im Freien stattfinden. Zugehört habe ich, als die Band „Route 66“ gespielt hatte. Das war Jazz vom feinsten. Wie „Tuxedo Junction“ von Glenn Miller. Das Grundmotiv des Orchesters, das auch wenigen Akkorden bestand, zog sich in die Länge durch Soloeinlagen. Vor allem der Saxophonist pustete fleißig in sein Instrument ein. Bei den Soloeinlagen war zwischendurch der Keyboarder an der Reihe, später die Trompete, so ging es reihum, und mit all den Soli und Grundakkorden hätte das Stück eine Ewigkeit dauern können, ohne jemals langweilig zu werden. Das war stundenlang Unterhaltung vom feinsten, bis wir irgendwann zurückdrehten in unsere Ferienwohnung.




An allen Ecken vom Tourismus geprägt, hat Immenstaad keine so schöne Altstadt wie Meersburg oder Überlingen zu bieten. Aber Immenstaad ist harmonisch. Fachwerkbauten treten nicht geschlossen auf, sondern als einzelne Episode. Das älteste Haus, das Haus Michael, wurde 1461 erbaut. 2001 renoviert, erhielt es 2003 den Denkmalschutzpreis. Weisheiten und Sprüche unter dem Gebälk regen zum Nachdenken an:

Nicht jeder ist seines Glückes Schmied. Vertrauen entsteht durch eingehaltene Versprechungen. Vermehren durch teilen. Der Mensch denkt er lenkt. Respektiere das Ende.

Unwillkürlich fällt man ins Grübeln und Philosophieren. Perla hat Haus Michael von innen kennen gelernt und bericht darüber in ihrem Blog.


 Daneben hauchen weitere Fachwerkbauten dem Ort Leben ein. Das Schwörerhaus, in dem einst Wein gekeltert wurde, stammt aus dem Jahr 1578. Besonders schön restauriert wurden im Ortsteil Kippenhausen das Haus Montfort und das Café Puppenhaus, die beide aus dem 18. Jahrhundert stammen. In Haus Montfort ist ein kleines Museum untergebracht. Im Café Puppenhaus konnte man bis vor einigen Jahren ein Puppenmuseum besichtigen.

In der Alten Vogtei, die 1732 erbaut worden war, haben wir in unserem Urlaub gerne gegessen. In dezenten roten Fliesen führt eine Treppe hinab. Im Gewölbekeller, der in der Form eines Rundbogens gemauert ist, fühlt man sich einige Jahrhunderte zurück versetzt.  Obschon die Preise ein leicht angehobenes Niveau haben, ist die Küche hier – wie zum Beispiel auch in dem gegenüberliegenden Lokal „Zum Hirschen“ – exzellent. Beim Essen bin ich stock-konserativ-schwäbisch oder badisch: ich esse Käsespätzle oder Maultaschen. Die Spätzle sind frisch zubereitet, die Zwiebelschmelze ist knusprig, die Portionen sind üppig. Und ein Müller-Thurgau aus Hagnau oder Meersburg rundet dieses Essen ausgezeichnet ab.

Hier in Immenstaad haben wir genossen, was es bei uns im Rheinland nicht gibt: eine regional-typische Küche. Hausgemachte Semmelknödel, Felchenfilet oder Rinderleberle. Auch die Gastronomie hat uns in den Himmel des Bodensees emporsteigen lassen.