wer bin ich ? ich heiße Dieter

Freitag, 30. Dezember 2011

neue Leser

In den letzten Tagen haben sich einige neue Leser den Weg in meinen Blog hinein gefunden. Ich begrüße euch herzlich und freue mich, dass ihr hier seid.

Jahresausklang


Wenn ein Männchen das andere hinauswarf, platze aus unserem kleinen Mädchen ein Lachen heraus, als ob ein Huhn gackerte. Dann eine Rückkopplung des Lachens auf unser großes Mädchen, beide lachten zusammen los und konnten sich nicht mehr bändigen, so dass man meinte, inzwischen würde ein ganzer Hühnerstall losgackern. Die Würfel fielen, die roten, grünen und gelben Männchen tappsten Feld um Feld vorwärts. Außer Rand und Band, tobten wir uns an unserem Wohnzimmertisch aus, wir spielten Mensch-Ärgere-Dich-Nicht. Das Spiel zog sich in die Länge, bis der Sieger feststand und unser kleines Mädchen mit einem gewissen ungläubigen Protest, aber ohne jeglichen Widerstand ins Bett ging ...

So oder ein bisschen ähnlich könnte der Silvesterabend als Spieleabend ablaufen, denn in diesem Jahr sind wir spontan, wir können nur unbestimmt planen.

Fest steht: das befreundete Pärchen, mit dem wir all die letzten Jahre Silvester gefeiert haben, wird über den Jahreswechsel in ein Kloster abtauchen. Ein Kloster ? Zweifellos suche ich auch Ruhe und Meditation inmitten dieser viel zu schnelllebigen und hektischen Zeit. Ich denke unvermittelt an Maria Laach in der Eifel – dies sei als Beispiel genannt, ich weiß nicht, ob dies ihr Kloster ist. Ein grandioser Flecken Erde, ein genius loci oder ein Ort der Schöpfung, diese romanische Baukunst am Ufer eines Eifelmaares und in der Abgeschiedenheit von Wäldern. Aber: Silvester in einem Kloster verbringen ?

Wir werden wohl gerade 4-5 Personen aus unserer Familie zusammen kratzen können, mit denen wir zusammen feiern werden. Damit kann ich gut leben, denn die Vorbereitungen werden sich in Grenzen halten, wir brauchen nicht die Masse einzukaufen und auch die Herumkocherei in der Küche wird sich übersichtlich gestalten. Zudem hat unser großes Mädchen angekündigt, wegen der Masse der noch zu lernenden medizinischen Inhalte in ihr Zimmer flüchten zu wollen, und bei unserem kleinen Mädchen müssen wir abwarten, wann ihre vor Müdigkeit zufallenden Augen sie ins Bett befördern werden.

A propos Herumkocherei: hier wird unsere Familie etwas ganz seltenes erleben, ich werde nämlich höchstpersönlich kochen. Üblicherweise halte ich mich aus dem Kochen heraus, denn dies erscheint mir mehr wie eine Geheimwissenschaft für eingeweihte Frauen, dass, wenn ich Winzigkeiten oder Kleinigkeiten anders oder falsch mache, die ganze Familie einen Aufstand wie bei einer Revolution gegen mich inszeniert.

Wenn ich koche, gibt es immer nur ein Gericht, und zwar sind das selbstgemachte Spätzle, die ich aus einem Hobel ins heiße Wasser tropfen lasse. Diese bereite ich in zwei Varianten zu, nämlich zum einen als Käsespätzle mit ganz viel gedünsteten Zwiebelringen und ein bisschen Käse, und zum anderen nur als Spätzle mit einer Gehacktessoße dazu. Es ist in unserer Familie unstrittig, dass  meine selbstgemachten Spätzle besser schmecken wie diejenigen, die wir beispielsweise aus Oberschwaben (Günzburg) oder vom Bodensee kennen.

Wenn das Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel gestern so unterhaltsam war, vermute ich, dass wir das eine oder andere Spiel spielen werden. So haben wir noch nicht das Monopoly-Spiel gespielt, welches unser Sohn zu Weihnachten geschenkt bekommen hat.

Dabei bin ich eher der trägere Typ, den man zum Spielen zwingen muss. Da starre ich lieber auf den Fernsehbildschirm und lasse mich von dem Programm berieseln, welches an Silvester wohl kaum etwas anderes als Stimmungsmacherei oder seichte Unterhaltung zu bieten hat. Im letzten Jahr liefen immerhin Sketche mit Heinz Erhardt – den ich sehr schätze. Am liebsten würde ich mich hinter einem Buch verkrümeln. Oder vor dem Radio. Auch am Silvesterabend wird in Radio 2 – Niederlande – die Top 2000 laufen, gestern hatte ich eine zeitlang Kracher gehört wie die Rolling Stones mit „Honky Tonk Woman“, Jimi Hendrix mit „Voodoo Chile“ oder Peter Gabriel mit „Biko".

Ganz bestimmt werde ich an einem leckeren Glas Rotwein herumnippeln, an einem spanischen RIOJA oder einem französischen aus dem LANGUEDOC-ROUSILLON, wobei ich aber mitten unter Biertrinkern (Schwiegervater, Schwager) und Sekttrinkern (meine Frau) ein Exot sein werde. Ich werde es mit den Spaniern oder Franzosen halten: Weintrinken ist eine Kultur und ein Lebensgefühl, und auf diese Art und Weise werde ich Silvester genießen.

Um 12 Uhr, wenn der gekühlte weiße Sekt in langstieligen Gläsern bereitsteht, werde ich den anderen zuprosten und ein frohes neues Jahr wünschen. Unser Sohn wird draußen ganz bestimmt wie wild losknallen, was das Zeug hält.

Bis Silvester dauert es noch einen Tag, aber so ungefähr werden wir das Jahr ausklingen lassen.

Donnerstag, 29. Dezember 2011

Jahresrückblick 2011


7. Januar
75. Geburtstag meiner Mutter. Wir essen in einem Restaurant in einer Wassermühle. Der Zustand meiner Eltern wird zusehendes gebrechlicher. Meine Mutter leidet an Osteoporose. Im März Augenoperation. Im Oktober stürzt sie, als sie ihre Enkelin in den Kindergarten bringt. Es ist  nichts gebrochen, aber Sehnenriss. Mein Vater ist 79, ist noch einigermaßen fit und hält den riesigen Garten in Ordnung. Die Phasen, in denen er im Sitzen einnickt, nehmen deutlich zu. Mein Bruder wohnt mit seiner Familie bei meinen Eltern und kümmert sich um sie.

16. Januar
Hochwasser auf dem Rhein, Kölner Pegel 8,71 Meter. Seitdem wir 2008 in unser neues Haus umgezogen sind, lassen uns Hochwasser unberührt, weil wir ausreichend hoch wohnen. In unserem alten Haus (Altbau Baujahr 1955), in dem wir 17 Jahre davor gewohnt hatten (etwa 500 Meter vom Rhein entfernt), hatten wir insgesamt 4 mal Grundwasser im Keller, weil das Haus ungefähr der tiefste Punkt im Ort war, weil in der Bodenplatte Risse waren und die Betonwände porös waren. Das Grundwasser (kein Wasser aus dem Rhein, da ein Damm davor liegt !) hatten wir dann mit einer Pumpe aus unserem Keller herausgepumpt. Mit Hochwasser haben wir nichts mehr zu tun, wir fühlen aber jedes Mal mit der Familie  mit, die unser altes Haus gekauft hat.

25. April
Radrennen Rund um Köln. Das war mein persönlicher Höhepunkt meiner Rennrad-Leidenschaft, nämlich die Teilnahme am Jedermann-Rennen Rund um Köln. Die 67 km habe ich in sage und schreibe 2 Stunden 6 Minuten geschafft, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 31 km/h entspricht (!!!!). Mit einem Bekannten aus Bendorf bei Koblenz habe ich teilgenommen. So viele Radrennfahrer, so viel Publikum an der Strecke, so viel Anfeuerung, ein einzigartiges Erlebnis ! Überhaupt lief es mit meinem Rennrad ziemlich rund. Freitags habe ich nach der Arbeit des öfteren Strecken von 70-80 km geschafft. Die schönsten Touren gingen durch die Eifel: mit dem Bekannten von Andernach bis Gerolstein (80 km), alleine bis Bad Münstereifel (110 km), alleine von zu Hause über Euskirchen, Gemünd, Schleiden, Monschau nach Aachen (140 km). Ich hoffe, dass ich im nächsten Jahr konditionell genauso gut drauf bin !

12. Juni
Über Pfingsten Besuch im Legoland Günzburg. Das Legoland haben wir mittlerweile im 8. Jahr hintereinander regelmäßig besucht, neu war aber für uns, dass bis Anfang September sämtliche Sonntage mit irgendwelchen Unternehmungen verplant waren. Dazu gehörten: 2 Geburtstage feiern, Abitur unseres großen Mädchens (werde später ausführlicher darauf eingehen), Karl-May-Festspiele Elspe, Besuch durch Freunde aus dem Saarland, Besichtigung der Burg Eltz mit Freunden …. Da fehlte uns die Zeit zum Luftholen, und das war des Guten ein bisschen zuviel …

1. Juli
Abiturzeugnisausgabe unseres großen Mädchens (Traumnote 1,0). Mit der Ansprache des Bürgermeisters, den Aufführungen der Lehrer, den Darbietungen der Schüler und diversen weiteren Ansprachen ein würdiger Rahmen. Natürlich auch der Abi-Ball, der 14 Tage später stattfand, der war mir aber zu steif. Ganz toll hat mir anstatt dessen eine Wanderung mit der Klasse unseres großen Mädchens auf die Löwenburg im Siebengebirge gefallen. Von den sieben Bergen im Siebengebirge – dessen Anzahl gar nicht sieben ist, sondern ein paar mehr – hatte ich früher einige erwandert, aber noch nicht die Löwenburg. Mit 455 Metern ist die Löwenburg der zweithöchste Berg im Siebengebirge, so dass man einen phantastischen Rund-um-Blick über Bonn, bis in die Eifel, in den Westerwald hinein, bei klarem Wetter bis Köln hat. Dann noch diese Burgruine auf dem Gipfel, zwischen der man in einem mittelalterlichen Ambiente herumkraxeln kann. Alle zusammen hatten wir fleißig zu essen mitgebracht und wir machten Picknick ….

11. August
Unser großes Mädchen hat ihre Führerscheinprüfung bestanden …

26. August bis 6. September
Urlaub an der Costa Brava. Es war unser sechster Spanien-Urlaub, davon haben wir die fünf anderen Urlaube auf Mallorca verbracht. Dieser Urlaub war noch schöner wie diejenigen auf Mallorca (die mir immer noch klasse gefallen haben !), weil der Urlaub von Grund auf abseits des Massentourismus geplant war. Anreise mit dem PKW und nicht mit dem Flugzeug. Buchung des Ferienhauses über eine private Ferienhausvermieterin (sie kam aus der Nähe von Berlin und wir hatten das Ferienhaus im Internet gefunden) und nicht über den Katalog eines Reiseveranstalters. Das Reiseziel lag 1.300 km von uns zu Hause entfernt. So wie bereits bei anderen Urlauben, hatten wir uns einen Leihwagen bei Europcar gemietet (VW Caravelle 9 Sitzer). Dafür fahren wir zu Hause keinen Van (wie so viele andere Familien, die wir kennen), sondern nur einen Gebrauchtwagen, der uns nicht allzu viel Euro gekostet hat. Auf der Hinfahrt Zwischenübernachtung in Frankreich (nahe Dijon), am zweiten Tag Anreise in Spanien. Unser Ferienhaus lag in einer Siedlung, in der es praktisch keine Hotels gab, sondern nur Ferienhäuser, die privat vermietet wurden. Gehweg zum schönen Sandstrand etwa 15 Minuten. In der einen Richtung des Strandes folgte ein Campingplatz, in der anderen Richtung lagen römisch-griechische Ausgrabungen, so dass nichts mit irgendwelchen Hotelklötzen verbaut war, die mich an Mallorca gestört hatten. Ebenso 15 Minuten entfernt ein kleiner Ort mit einer vollständig erhaltenen Stadtmauer, einer über dem Meer emporragenden Kirche und einem Platz mit insgesamt fünf Restaurants, in denen man lecker essen konnte. Die übrigen Touristen waren überwiegend Franzosen, einige Belgier und Niederländer, die Deutschen waren eher in der Unterzahl, natürlich auch viele Spanier aus der umliegenden Provinz Gerona. Das Wetter passte, denn bis auf die letzten beiden leicht verregneten Tage konnten wir jeden Tag im Meer baden. Diverse bunte und schöne Märkte haben wir in der Umgebung abgeklappert. Die Rückfahrt dann in einem Rutsch von Spanien nach Hause (5 Uhr Abfahrt, 18.45 Uhr Ankunft zu Hause). Beim Autofahren hatten sich meine Frau und ich konsequent alle zwei Stunden abgewechselt.

8. September
Einschulung unseres kleinen Mädchens. Sie macht mittlerweile große Fortschritte beim Lesen, Hose hatte sie zuletzt bei C&A gelesen oder „Monchichi“ auf ihrem Monchichi. Negativ ist aber anzumerken, dass ihre Lesefähigkeiten eher auf dem Einsatz meiner Frau beruhen und weniger darauf, was in der Schule vermittelt wird. Unsere Größeren hatten noch mit der UMI-Fibel gelernt, in der ein Buchstabe nach dem anderen gelernt wird und sämtliche Wörter auf UMI aufsetzen, woraus dann schrittweise mit einem neuen Buchstaben auch ein neues Wort gebildet wurde. Heute wird so vorgegangen, dass Wörter gelesen und geschrieben werden müssen, ohne dass sämtliche Buchstaben bekannt sind. Wir finden dies chaotisch und ohne System, dass die gelesenen und geschriebenen Worte falsch sein dürfen, wobei wir nicht nachvollziehen können, was ihnen an richtigen Wörtern / Buchstaben / Schreibweisen beigebracht wird. Uns ist rätselhaft, wieso mit der UMI-Fibel, mit der ein effizienter Lernfortschritt erzielt werden konnte, nicht mehr gelernt wird.

16. Oktober
Stoffmarkt in Bad Godesberg. Der kommenden Jahreszeit entsprechend, hat meine Frau jede Menge Fleece-Stoff und pinkfarbenen Hello-Kitty-Stoff eingekauft. Ab sofort sind jede Menge Abende und Sonntage mit Nähen belegt. Aus dem Hello-Kitty-Stoff näht meine Frau Stoff-Taschen, und die sind mittlerweile so nachgefragt, dass sie zuletzt meinte, sie könnte in eine regelrechte Massenproduktion einsteigen – wobei aber, fiktiv gedacht, wohl niemand einen adäquaten Preis für Stoff plus geleistete Arbeitsstunden zahlen würde. Aus den Fleece-Stoffen sind diverse Fleece-Shirts für unser kleines Mädchen entstanden, außerdem hat sie einen Vorhang für das Hochbett unseres kleinen Mädchens genäht. Bis heute ist noch nicht all der Stoff, den sie am 16. Oktober gekauft hat, weggenäht.

21. Oktober
Erstsemesterbegrüßung an der Universität Freiburg. Unser großes Mädchen studiert nun Medizin und hat sich an der Universität Freiburg eingechrieben. In den Wochen davor waren wir mehrfach die 420 km nach Freiburg gefahren, wegen Wohnungssuche, dann Umzug bzw. ihre persönlichen Sachen rüberfahren. Ein bisschen mehr hatte ich Freiburg nur die ersten beiden Male, als ich mit unserem großen Mädchen alleine in Freiburg war, kennen gelernt. Irgendwie bin ich hingerissen, das Zentrum ist sehr homogen und hübsch gestaltet, der Platz mit der Münsterkirche ist überwältigend, diese kleinen durchfließenden Bächle, alles ist südländisch und gemütlich. Für unser großes Mädchen war diese Umstellung gravierend, raus aus zu Hause hinein in ein Studium in eine so entfernte Stadt. Es war ihre Entscheidung, in Freiburg studieren zu wollen. Darüber nachzudenken, ob diese Entscheidung richtig war, kommt sie wohl kaum, denn im neuen Jahr geht es mit jede Menge von Klausuren und Prüfungen los.

9. November
Der St. Martins-Zug ist ungefähr der Auslöser gewesen, dass ich mich wieder intensiver der Blog-Schreiberei widme. Dies ist sicherlich ein sehr schönes Hobby. Vor allem: danke an diejenigen, die fleißig in meinem Blog herumlesen in der Hoffnung, dass den Lesern der Blog auch gefällt und dass die Anzahl der Leser-/innen langsam wächst.

Wie man sieht, ist relativ vieles im alten Jahr rund gelaufen.
Wahrscheinlich werde ich Morgen einen weiteren Blog schreiben. Trotzdem wünsche ich allen Lesern bereits jetzt einen guten Rutsch ins neue Jahr !

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Streifzug durch Köln-Ehrenfeld: Hinterhöfe, ein Leuchtturm und ein Galgen


Wer Köln-Ehrenfeld auf Ansichten aus der industriellen Revolution begegnet, der fühlt sich mitten ins Ruhrgebiet versetzt. Die Schlote rauchen, Werkshallen erstrecken sich kilometerweit, es ist kein Ende der Industrielandschaft in Sicht, das gigantisch sich verteilende Schienennetz trägt apokalyptischen Züge. In Ehrenfeld hatte sich in dieser Epoche die Elektroindustrie breit gemacht, dazu Gaswerke, Gießereien, Unternehmen des Maschinenbaus, der Automobilindustrie, des Waggonbaus. Das einzige, was man aus dem Ruhrgebiet hätte vermissen können, wären Zechentürme und Kohlehalden gewesen.

Heute haben sich die Industriebauten in die umliegenden Stadtteile zerstreut, in Technologieparks in Braunsfeld, Bickendorf oder Longerich. In Ehrenfeld lebt man inmitten der Relikte der industriellen Epoche und im Schatten der Großstadt Köln. Plakate, in Serien zusammengeklebt, kündigen türkische Neujahrsfeste an. In Afro-Läden kann man sich mit afrikanischen Lebensmitteln eindecken. Ehrenfeld, das ist heute eine unüberschaubare Mischung von allen nur denkbaren Einflüssen.

Ein Spaziergang durch die Seitenstraßen. An vielen Stellen hat man die Industrie platt gewalzt. Besorgt hat dies zum großen Teil der Krieg, in dem Ehrenfeld insgesamt 55 mal Ziel von alliierten Luftangriffen war. So auch eine Glasfabrik auf der rückwärtigen Seite des Ehrenfelder Bahnhofs. Sie hatte bereits in den 30er Jahren die Produktion eingestellt. Nach dem Krieg entstanden dann Wohnhäuser, die schnell, einfach, schnörkellos und kostengünstig gebaut worden waren. In dieser Jahreszeit, mitten im Winter, ohne Grün, wenn die sorgsam proportionierten Bäume kahl sind, verdüstern sich bisweilen die Fassaden. Oftmals schiebt sich der plumpe Stil von Mietskasernen in den Vordergrund, an Straßenecken verwittern rostbraune Klinkerfassaden, der mausgraue Farbton einer gefliesten Gebäudefront passt bedenkenlos in die winterliche Stimmung hinein.

Kleine Betriebe, darunter etliche Ein-Mann-Firmen, prägen die Seitenstraßen in Ehrenfeld. In Hinterhöfen werden Fenster aus Kunststoff gebaut, historische PKW’s werden herausgeputzt, es wird mit Spezialteilen aus Gummi gehandelt, Musikinstrumente werden gebaut, auf Parkflächen quetschen sich Transporter zusammen, die zu einem Malerbetrieb gehören.

In den Hinterhöfen breitet sich bisweilen auch die Gemütlichkeit aus. Im Café ist es gegen 11 Uhr morgens so rappelvoll, dass man keinen Platz mehr bekommt. Das Café ist schlicht, einfach, mit einem blank gewienerten Holzfußboden und hat etwas von den französischen Bistrots: man bringt Zeit mit, schaut, beobachtet, viele frühstücken in aller Ruhe, man blättert in der Zeitung herum oder liest ein Buch. Der Hinterhof: abgetrennt durch den Wintergarten, breitet sich eine Oase der Stille vor dem kalkweiß gestrichenen Gemäuer aus, und Bistrottische und –stühle trotzen den sich auftürmenden Häuserfronten. Bei wärmerem Wetter muss es hier phantastisch sein.

Köln, das war während der industriellen Revolution neben dem Ruhrgebiet und der Textilindustrie am Niederrhein eine der industriellen Schwerpunkte im Rheinland. Insbesondere in Ehrenfeld hat man sich um einige Relikte aus dieser industriellen Epoche gekümmert und diese sorgfältig erhalten. So wurde 1882 die Fa. Berghausen & Co für Telegrafenbau gegründet. Basierend auf dem griechischen Sonnengott Helios, wurde die Firma bereits ein Jahr später in „Helios Aktiengesellschaft für elektrische Beleuchtung und Telegrafenbau“ umbenannt. Mit dem angebrochenen Zeitalter der Elektrizität stellte das Unternehmen das komplette Produktionsprogramm an Beleuchtung her, wozu auch Leuchtmittel für Leuchttürme gehörten. So wurde 1910 wurde der noch heute stehende Leuchtturm auf die Werkshallen gebaut, um diese Leuchtmittel testen zu können. Danach wurde das Produktionsprogramm stetig ausgeweitet – auf Verteilsysteme, Lichtmaschinen oder Generatoren, dennoch schwappte das Unternehmen Ende der 20er Jahre in den Konkurs hinein. Werkshallen und Anlagen blieben aber stehen und blieben sogar durch Kriegszerstörungen relativ verschont. So kann man auch heute durch die Werkshallen bummeln, denn dort ist ein Möbel-Center untergebracht. Sich in die Höhe reckend, hat der Leuchtturm alles überdauert. Wenn man ihn sieht, denkt man unvermittelt an Inseln wie Helgoland, Rügen, Fehmarn oder Norderney. Dabei ist es verdammt komisch, mitten in der Großstadt zu sein.

Ein paar Gehminuten weiter, den Bahndamm entlang, versteckt sich ein Denkmal, welches an die NS-Vergangenheit erinnert. Die Wände des Bahndamms ziert ein gigantisches Gemälde: im Vordergrund marschieren Kompanien von Soldaten, dahinter steuert ein Segelschiff auf sicherem Kurs, flankiert von zwei Kirchen, zur linken der Kölner Dom und zur rechten eine brennende Synagoge. Neben der Übergröße der Wandmalerei verschwindet beinahe die eigentliche Gedenktafel: an Bartholomäus Schink. Schink wurde am 10. November 1944 an dieser Stelle gemeinsam mit 12 weitern Männern erhängt. Sie gehörten den Edelweißpiraten an, die in jugendlichem Alter – Schink war gerade 16 Jahre alt – mitgeholfen hatten, Zwangsarbeiter, Juden und Deserteure zu verstecken, außerdem hatten sie Lebensmittelmarken und Waffen gestohlen, und sie erschossen sogar einen Ortsgruppenleiter. Ohne einen Prozess, öffentlich, so dass die Bevölkerung dies miterleben sollte, wurden die 13 Jugendlichen durch die Gestapo am Galgen erhängt.

In diesem Winter wird auch an einen Freund Schinks – Jean Jülich – gedacht, der den Krieg als Edelweißpirat überlebt hat und im Oktober dieses Jahres im Alter von 82 Jahren gestorben ist. Sein plakatgroßes Foto schwingt sich inmitten von Blumensträußen um einen Brückenpfeiler, und der Geist der Edelweißpiraten lebt in der Kölner Südstadt alljährlich bis in die Gegenwart mit einem großen Festival fort.

Die Bahnlinie, die von Köln nach Aachen führt, war Mit-Auslöser der industriellen Revolution. Die großen Firmen – so auch die Helios-Werke - gruppierten sich um die Bahnlinie. Später, Ende der 20er Jahre, wurde die Bahntrasse mit Hilfe eines Viadukts höher verlegt. Dies prägt auch heute das alltägliche Fortkommen in Ehrenfeld, denn der Bahndamm spaltet den Stadtteil in zwei Teile, und durch ein Netz von Brücken muss man sich von einem Teil Ehrenfelds in den anderen Teil hinein tasten.

Heute sind unter den Torbögen des Viadukts handwerkliche Betriebe beheimatet. Man kann in das Treiben einer Schreinerei hineinschauen, Holzverschnitte, die zusammengestapelt werden, oder Skelette von Holztüren, an denen noch die Verglasung fehlt. Oder man blickt hinein in die Werkstatt einer Schlosserei, wo Bohrmaschinen aufgeständert sind oder Teile eines Geländers herumstehen.

Schlendert man weiter den Bahndamm entlang, so haben sich Heerscharen von Sprayern ausgetobt. In diesem Umfeld wirkt der Ehrenfelder Bahnhof genauso schäbig und abstoßend wie so mancher andere Vorort-Bahnhof. Je mehr man sich dem Bahnhof nähert, ums so mehr muss man Phantasiegebilde von Zeichen entwirren. Eine längliche Gestalt könnte als Gespenst interpretiert werden, ein Musikliebhaber hat dort die Beach Boys verewigt.

Über die Bahntrasse rauscht der Bahnverkehr vorbei, man könnte sogar meinen, im Minutentakt, so dicht wird die Bahnstrecke befahren. Von dort aus geht es weiter nach Belgien, nach Frankreich und in die Niederlande. Und hinter Köln gibt der Thalys so richtig Gas.

Dienstag, 27. Dezember 2011

trauriges Weihnachtsfest


Es war eine der letzten Erledigungen vor Geschäftsschluss. Kurz vor 12 Uhr machte sich meine Frau an Heiligabend auf dem Weg zu einem Modeladen im Zentrum unseres Ortes. Sie wollte einer früheren Klassenkameradin, die Inhaberin des Modeladens ist, ein frohes Weihnachtsfest wünschen. Das Schicksal hatte sie hart getroffen. Im Frühjahr hatte sich ihr Mann von ihr getrennt. Im August war dann ihr Sohn im Alter von 28 Jahren tödlich verunglückt.

Unscheinbar dämmerte der Modeladen im Schatten der Gebäudefront eines Imbisses vor sich her. Kleiderständer vor dem Schaufenster signalisierten, dass der Modeladen noch geöffnet war.

Im Laden kauerte zwischen Ständern von Strickpullovern und Sweat-Shirts die ehemalige Klassenkameradin meiner Frau: Manuela. Sie war dunkel gekleidet wie das Wetter. Das Regengebiet, welches am Morgen durchgezogen war, war draußen nahtlos übergegangen in eine graue, kompakte Wolkenmasse.

„Hallo Manuela“.
Dürr und bleich sah sie aus. Regungslos begrüßte sie meine Frau. Ihre Gestalt war wie ausgemergelt und sie hockte da wie ein Häufchen Elend.

Wie ihr Sohn verunglückt war, war ominös. Er hatte in Essen studiert, als Hobby-Fotograf wollte er auf der Zeche Zollverein Fotos machen. Der Unfall geschah beim Fotografieren, als er etwa zehn Meter von einer Eisenbahnbrücke hinab gestürzt war. Mein Schwiegervater kommt ursprünglich aus dem Ruhrgebiet und er kennt die Zeche Zollverein. Wir konnten uns nicht erklären, wieso er beim Fotografieren auf eine Eisenbahnbrücke klettern musste und wieso er eine solche gefährliche Stelle nicht gemieden hatte.

„Frohe Weihnachten.“
„So lange ich im Laden bin, geht es einigermaßen. Aber wenn ich zu Hause bin, das ist schrecklich …“

Sie erzählte, dass ihr Essrhythmus und ihr Hungergefühl dauerhaft durcheinander geraten waren. Ihre Gedanken kreisten umher und suchten nach Halt, den sie ein bisschen in ihrem Geschäft und ein bisschen bei ihrer Tochter fand, die als Verkäuferin in einer Bäckerei arbeitete und noch bei ihr wohnte. Sonst war es gespenstisch, wie ihre Gedanken in einem Nichts herum stocherten, welches ein erloschenes Leben hinterlassen hatte.

„Zuletzt bin ich 5 Uhr Morgens aufgewacht. Das kannte ich gar nicht mehr, da hatte ich nämlich Hunger. Mitten in der Nacht habe ich Brote geschmiert und drauflos gegessen.“

Eigentlich war sie als End-Vierzigerin noch sehr hübsch und hatte ein Stück ihrer Jugend bewahrt. Ihr schwarzes Haar fiel in Locken herunter und unterstrich ihre Weiblichkeit. Doch die Sorgenfalten drückten. Ränder hatten sich tief unter die Augen gegraben. Hände griffen verstört ins Leere.

„Wenn ich gleich nach Hause komme, habe ich noch etwas zum Bügeln da. “
Sie rang nach Betätigung, um diesem Nichts zu entrinnen. Meine Frau schwieg. Wie hätte sie denn ein Gespräch in Gang bringen können ? Sie hatte schlichtweg Angst, dass sie etwas falsches sagen könnte. Dass ein einziges falsches Wort Manuela gleich aus der Bahn werfen könnte, dass alles herausplatzen würde und sie in Tränen ausbrechen könnte. Die Situation war schlimm und grotesk, nicht helfen zu können, allenfalls zusehen zu können, vielleicht durch die Anwesenheit ein bisschen Beistand leisten zu können.

„Heute Abend bin ich mit meiner Tochter bei meiner Mutter.“
Das war wenigstens ein Stückchen Heiligabend. Gemeinsam mit ihrer Tochter, ihrer Mutter und möglicherweise auch ihren Geschwistern.

„Und dann ?“
Am 1. und 2. Weihnachtstag drohte der endgültige Zusammenbruch. Da war diese schreckliche Leere zu Hause,  alles drohte in einen Abgrund zu stürzen. Niemand war mehr da. Die Hoffnungslosigkeit wollte kein Ende nehmen. Wie sollte es weiter gehen ?

„Frohe Weihnachten.“
Meine Frau musste wieder nach Hause zurück. Der Abschied war kurz, Manuelas Arme klammerten sich verzweifelt an meiner Frau. Den Tränen war sie nahe, doch sie riss sich zusammen, biss auf die Zähne und irgendwie schaffte sie noch, ihre Haltung zu bewahren.

Freitag, 23. Dezember 2011

frohes Weihnachtsfest

Für einen längeren Blog fehlt mir leider die Zeit, da die Spannung steigt und Morgen das Christkind kommt. Als Vorfreude auf das Christkind ist heute unser großes Mädchen eingetroffen, das nun das erste Mal, seitdem es ihre Studentenbude in Freiburg bezogen hat, zu uns zurück gekehrt ist. Das war ein Warten - so ähnlich wie beim Christkind. Eine Kommilitonin hatte sie im Auto mmitgenommen, und vom Handy aus hatte sie angerufen, dass sie im Anflug auf zu Hause wäre. Wir aßen gerade zu Abend und wir waren zum Bersten gespannt - und warteten ... und warteten ... und warteten ... Eine halbe Stunde später war unser großes Mädchen dann da - offensichlich begann an der Landesgrenze nach NRW am Kreuz Meckenheim das zu Hause. Als sie ankam: Begrüßen, Knuddeln,und drinnen knuddelten und kuschelten das ganz große und das ganz kleine Mädchen so dicht zusammen, dass man sie kaum auseinander bekam. Jetzt genießen wir zu fünft die Zeit miteinander und warten Morgen auf das Christkind.

Ich wünsche allen, die meinen Blog lesen, ein frohes Weihnachtsfest. Dass alle soviel Freude miteinander haben wie wir bei uns zu Hause. Danke an all die fleißigen und geduldigen Leser für all diejenigen Kontakte, die sich in den letzten Wochen aufgebaut haben.

Euer Dieter

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Payback-Punkte-Jäger

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Glatte 250 € haben wir nebenher zusammen gesammelt. In einem Zeitraum von einem Jahr, ohne irgendwelchen Riesenaufwand zu treiben. Es sind nur diejenigen Dinge gewesen, die wir mit unserer Haushaltskasse sowieso einkaufen mussten.

Payback, das bedeutet für uns eine geringfügige Umstellung beim Einkaufen. Anstatt LIDL oder HIT kaufen wir bei real, anstatt Schlecker (den wir wegen der ausbeuterischen Praktiken sowieso meiden) oder Rossmann bei dm, Tanken bei Aral, im Kaufhof kaufen wir sowieso ein, dazu die ganzen Online-Shops: Amazon, Bol, Weltbild, Tchibo und wie sie alle heißen. Mit Ausnahme von real müssen wir keinerlei Umwege beim Einkaufen in Kauf nehmen, denn diese Geschäfte umgeben uns sowieso.

Um die Punktzahl in die Höhe zu schießen, sind wir ganz heiß auf Extrapunkte. Das sind Aktionszeiträume, in denen die Einkäufe bei den Payback-Partnern mit doppelten bis zu zehnfachen Punkten honoriert werden.

Als Schnäppchen-Jäger sind wir zu kritisch, dafür sind wir mit größerer Leidenschaft Payback-Punkte-Jäger, weil uns das Konzept überzeugt und weil sich ohne nennenswerten Mehraufwand Geld damit verdienen lässt. Gebannt schauen wir auf den Kassenzettel, auf welches Niveau sich der neue Punktestand geschraubt hat – sofern er auf dem Kassenzettel steht – sonst schauen wir ins Internet unter www.payback.de.

Wir kaufen auch auf Vorrat ein, doch ansonsten glauben wir uns im Griff zu haben, dass wir mit Einkaufszettel nicht das Maß überschreiten, was wir eigentlich benötigen.

Payback-Punkte sammeln kann so schön sein. Wir haben so eifrig gesammelt, dass meine Frau ihre Weihnachtsgeschenke zusammen hat. Jeder von uns fünfen bekommt einen Payback-Gutschein von 50 € geschenkt, der dann bei einem Payback-Partner verprasst werden kann.

Bei der Auszahlung der angesammelten 250 € wird unsere Sammel-Leidenschaft sogar noch auf die Spitze getrieben: dies wird wiederum mit Extrapunkten belohnt, denn 10% davon, also 25 €, werden dem Payback-Konto gutgeschrieben.

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Weihnachtsurlaub

Bis Heiligabend habe ich nun Weihnachtsurlaub, der intensiv den Weihnachtsvorbereitungen gewidmet sein wird.

Kleckerweise fallen uns die letzten fehlenden Geschenke ein. Meine Frau ist heute Morgen in die Stadt gefahren, um nach Anziehsachen zu schauen. Unser Sohn und ich haben gestern gemeinsam für meine Frau ihr Weihnachtsgeschenk über das Internet geordert. Das Internet ist eine immense Hilfe: Danke an Amazon, Bol, Kidoh, Eventim, und wie sie alle heißen. Was wir an Wegezeiten in Geschäfte eingespart haben, geht auf keine Kuhhaut.

Heute Morgen muss ich diverse Fotos von uns Lieben nachmachen lassen, die für 2012er Kalender bestimmt sind, mit denen wir unseren Familienkreis beschenken. Das ist eine Aktion mit hohem Abstimmungsbedarf, die Fotos zu sichten, auszuwählen und die passende Anzahl zu reproduzieren.

Weihnachtskarten schreiben oder Weihnachtsgrüße per Mail verschicken, damit sind unsere nächsten Abende verplant. Wobei ich ein Verfechter der Grüße per Mail bin, wenn wir diese Freunde im Jahresverlauf persönlich sehen. Gespannt bin ich auf den Effekt, wenn wir im  Postamt Briefmarken kaufen wollen. Mitten im Weihnachtsgeschäft kann es passieren, dass die Warteschlange bis zur Straße reicht.

Achja, Plätzchen haben wir noch keine gebacken. Die 16 Beutel Plätzchen, die wir am ersten Advent für den Weihnachtsmarkt in unserem Nachbarort gebacken hatten, gingen Ratzfatz schnell, etwa zwei Stunden hatte dies gedauert. Und mit dieser Größenordnung kommen wir als 5-köpfige Familie allemal hin.

Bleibt noch die Putzerei und Aufräumerei. Dabei ist am schlimmsten unser Gästezimmer, in dem mein Schwager Udo übernachten wird. Das Gästezimmer ist eine wahre Rumpelkammer, weil dort außer denjenigen Sachen, die dort sowieso herumgestanden haben, weitere Dinge aus dem Zimmer unserer Tochter, die in Freiburg studiert, hineingestellt worden sind, weil uns am letzten Wochenende Freunde aus Hamburg besucht hatten.

Was zu erledigen ist, sollte bis Weihnachten eigentlich zu schaffen sein.

Ich wünsche euch einen angenehmen Mittwoch !

Dienstag, 20. Dezember 2011

kürzester Tag des Jahres

Das letzte Stück Helligkeit entfaltete eine magische Kraft. Der verbleibende Rest des Tages klammerte sich an dem wolkenlosen Streifen fest, der sich zwischen den zerrissenen Wolkenfetzen behauptete. Die Dämmerung leuchtete dagegen: längst war die Sonne hinter den Hängen des Kottenforsts abgetaucht, in den Bürotürmen des Posttowers und des ehemaligen Abgeordnetenhauses herrschte noch geschäftiger Betrieb, und die Lichter der aalglatten Hochhausfassaden flackerten im Rhein.

So schön konnten Sonnenuntergänge sein. Der kürzeste Tag des Jahres hatte sich seinem Ende zugeneigt und glitt übergangslos in die dunkle Nacht hinein. Ich stelle fest, dass auch die dunkle Jahreszeit ihre eigenwilligen Reize hatte. Sämtliches Treiben war nicht mehr so extensiv nach außen gerichtet. Die Dunkelheit hatte einen morbiden Charme und griff in das kahle Geäst von Bäumen hinein. Auf der Rheinpromenade war es einsam geworden. Zwischen dem spärlichen Licht von Laternen begegnete man höchstens noch Spaziergängern, die als einzelne Erscheinung herum tappsten. Eine Ruhe breitete sich aus, wie man sie tagsüber nicht erleben konnte.

Wenn im Dunkeln diese Überfülle an Eindrücken, Informationen und Aktionspotenzialen ausgeblendet wird, finde ich zu mir selber zurück. Plötzlich empfinde ich einen Drang, zu Hause sein zu wollen, Bücher zu lesen, Blogs zu schreiben oder mich sonstwie gemütlich auszubreiten. Mich aufs wesentliche konzentrieren. Nicht mehr dieser Spam-Situation ausgesetzt sein, dass etwa 95% der Informationen Müll sind. Ich habe das Gefühl, dass die Dunkelheit all diese fremden Kräfte lähmt, die mich in eine Richtung drängen, in die ich eigentlich gar nicht hinein will.

Am kürzesten Tag des Jahres, wenn draußen die tiefste Nacht regiert, blühe ich im Inneren auf. Quatschen, lesen, auch fernsehen. In der dunklen Jahreszeit hat sich mein Körper auf einen natürlichen Tagesrhythmus eingestellt. Ein leckeres Glas Wein ist eher die Ausnahme. Wenn die Uhrzeit fortgeschritten ist, ermüde ich beim Lesen. Meine Konzentration sackt in den Keller. Gegen 10 oder 11 Uhr bin ich so bettschwer, dass ich schnell einschlafe. Dafür bin ich am nächsten Morgen um 5 oder 6 Uhr – je nachdem, ob der Sohn zur Berufsschule muss oder zum Arbeitsplatz – hellwach. Dieser aktive und angeregte Zustand dauert dann den ganzen Tag an.

Am nächsten Tag war über der Nacht der Schnee gekommen, mit einer dicken, einhüllenden Schicht, in der die Schuhe knirschten. Dem Wetterbericht im Internet hatte ich nicht geglaubt, dass für uns – das ansonsten vom Schnee vernachlässigte Rheinland – ein Verkehrschaos vorhergesagt wurde. Bus und Bahn brachten mich aber pünktlich zur Arbeit, und mittlerweile löste sich der Schnee in einer matschigen, nassen Pampe auf.

Stimmungen im Schnee inspirieren mich, wenn diese als Intermezzo auftreten. Alles ist wie verzaubert, es glitzert, die Natur ist wie mit Puderzucker bestreut.

Aber bitte kein Winter wie vor zwei Jahren. Da dauerten die Zwischenspiele, dass der Schnee verschwand, nur kurz, um ein paar Tage später mit noch größerer Heftigkeit zurückzukehren. Wir versanken erneut im Schnee, der tagsüber abtaute und nachts tückische Glatteisflächen produzierte. Bis in den März hinein litten wir  unter Temperaturen wie im Gefrierschrank, und der Winter wollte einfach nicht verschwinden.

Obschon ich nicht im entferntesten depressiv bin: bei soviel Schnee hatte mich eine regelrechte Winterdepression überfallen …

Montag, 19. Dezember 2011

betreutes Wohnen

Mit meinem Schwager Udo kann man verzweifeln. Man stößt auf eine Black Box, die er vor uns abschirmt, eine Welt, in die er andere nicht eindringen lässt. Als ob wir seinen Nerv getroffen haben, zuckt er zusammen, fühlt sich eingeschüchtert, er sagt aber nichts.

„Hat man Dich gefragt ….“
Es geht um das brisante Thema des betreuten Wohnens in seinem Wohnheim für geistig Behinderte.
„Wir wollen nur wissen, ob Du gefragt worden bist“ fasst meine Frau nach.
Udo druckst herum. Nach der Bewegung seiner Lippen zu urteilen, scheinen einzelne Worte aus seinem Mund heraus zu plätschern, doch ein Schweigen blockiert das Gespräch.
„Ähm … „
Das ist der einzige Minimalkonsens, den Udo aus sich herausbringt.

Gespräche, wie man sie normalerweise miteinander führt, sind mit Udo ohnehin nur eingeschränkt möglich. Er bildet kaum noch ganze Sätze, sondern nur noch Fragmente. Er reißt einen Zusammenhang mit dem nächsten so auseinander, dass man die logische Abfolge nicht mehr rekonstruieren kann. Erst wenn er längere Zeit redet, kann er sein Gedächtnis so abrufen, dass er das Erlebte verstehbar wiedergeben kann.

Das betreute Wohnen wirbelt Udos Mitbewohner ordentlich durcheinander, nämlich welche Bewohner mit welchem Konzept betreut werden. Dahinter steckten im Endeffekt Kostenreduzierungen: Behinderte mit einem niedrigeren Grad der Behinderung können kostengünstiger außer Haus im betreuten Wohnen untergebracht werden, weil die Behinderten Tätigkeiten wie Einkaufen, Kochen, Waschen usw. selbst erledigen können und demzufolge weniger Betreuung benötigen. Hinter vorgehaltener Hand haben wir sogar gehört, dass der Landschaftsverband – der Gelder für den Betrieb der Wohnheime bereitstellt – Udos Wohnheim mit einer Einmalzahlung von 12.000 € je überführten Behinderten belohnt. Daher ziehen immer mehr Bewohner mit einer geringfügigeren Behinderung in ein WG aus – so auch zwei der besten Freunde Udos, die letztes Wochenende ihre Einweihungsfete gefeiert haben.

Udo hat erzählt, dass mit ihm fleißig geübt worden ist. Kochen, Waschen, Bügeln, mit Geld umgehen können. Die Sinnhaftigkeit halten wir für unstrittig, solche Fähigkeiten zu erlernen.

Doch wie sieht dies bei Udo aus ? Beim Kochen wird er so gerade in der Lage sein, eine tiefgekühlte Pizza in den Backofen zu schieben oder Nudeln aus dem kochenden Wasser abzuschütten. Gebügelte Hemden haben wir so zerknittert in seinem Kleiderschrank gefunden, dass man sie kaum noch anziehen konnte. Und meine Frau staunte nicht schlecht, als sie einmal in der Bäckerei war: Udo bestellte dort zwei Scheiben Brot. Die Verkäuferin kannte Udo offensichtlich, schlussfolgerte richtig und gab ihm zwei Brote. Und wenn sie ihn nicht gekannt hätte ?

Hilfeplan: Udo hatte davon erzählt, dass ein solcher Plan erstellt wird, der zur Unterstützung im Alltag sicherlich hilfreich ist. Gesehen haben wir einen solchen Hilfeplan nicht – wieder so eine Black Box, dessen Inhalte wir wahrscheinlich nicht kennen sollen.

Dass Udo mit dem Taschengeld im Alltag klar kommt, trauen wir ihm nicht zu. 90 € Taschengeld stehen ihm im Monat derzeit zu. Kinobesuch, mal eine Flasche Bier trinken, auf einem Weihnachtsmarkt eine Wurst essen, mit uns zum Legoland nach Günzburg fahren, für diese kleinen Dinge geht dieses Taschengeld auf jeden Fall drauf. Darüber hinaus kommt es immer wieder vor, dass, wenn in der Stadt etwas unternommen wird, anschließend in einem Restaurant gegessen wird. Darüber hinaus sind weitere Ausgaben zu begleichen – so werden Fußnägel nicht wie üblich mit der Nagelschere geschnitten, sondern man geht zur Fußpflege. Zuletzt klappte das Zähne putzen schlecht – da wurde eine elektrische Zahnbürste angeschafft. Wie bitte, soll das funktionieren  - wenn Udo selbst die 90 € verwalten muss ?

„Hat man Dich gefragt“ setzte meine Frau an, diesmal in leisem, besinnlichen Ton, um gar nichts zu zerbrechen.

Es war sinnlos. Wir gruppierten uns an unserem Tisch in der Essecke, schauten gebannt auf Udo, der unbeholfen ins Leere starrte. Beharrlich mied er unsere Blicke und das Gespräch.
„Ähm …“ setzte er in die beinahe gespenstische Atmosphäre hinein.

Mein Frau war von Udos Wohnheim angerufen worden, dass sie für Morgen um ein Gespräch gebeten hatten. Worum es ging, hatten sie nicht gesagt.

Von anderen wissen wir, dass das betreute Wohnen Methoden der Überrumpelung einsetzt. Man sitzt dann alleine in großer Runde – quasi mit dem ganzen Wohnheim zusammen. Alles ist abgestimmt und festgezurrt: der Hilfeplan, die Zustimmung des Behinderten, ein Veto-Recht wird verweigert, anstatt dessen wird ein sofortiges Einverständnis erwartet.

Uns ist ganz grummelig zumute. Sollte dies so kommen: Demokratie sieht anders aus.

Sonntag, 18. Dezember 2011

ein turbulentes Wochenende

War das ein turbulentes Wochenende ! Wir wussten zwar, was auf uns zukommen würde, aber am Ende überschlugen sich die Ereignisse, geplante und ungeplante.

Vor fast zwei Monaten hatten sich Freunde, ein Paar aus Hamburg, angekündigt. Sie wollten Freitags bei uns ankommen, Samstags in aller Frühe mit einem Sonderzug „Rheingold“ der Deutschen Bahn nach Würzburg fahren, Samstag abends zu uns zurück und Sonntags nach Hamburg zurück. Letzten Montag meldete sich zusätzlich mein Vetter mit seiner Frau an. Er kommt aus der Heinsberger Gegend, wollte mit seiner Frau den Bonner Weihnachtsmarkt besuchen und zwei Stunden bei uns vorbeischauen. Wir hatten uns 7 Jahre nicht mehr gesehen.

Mittwoch:
Die Vorbereitungen für dieses besuchsträchtige Wochenende mussten schon beginnen, denn bei meiner Arbeit war jemand so verrückt gewesen, Freitags von 14-16 Uhr eine Besprechung anzusetzen. Normalerweise wäre ich freitags um die Mittagszeit nach Hause gekommen, hätte meinen Laptop mitgenommen, und bei dringenden Themen hätte ich entweder Freitags nachmittags meinen Laptop aufgebaut, oder Sonntags, wenn unsere Freunde aus Hamburg abgereist wären. Aus diesem Vorhaben wurde aber nichts, so dass ich Mittwoch Abend bis 21.30 Uhr unser Badezimmer putzen musste.

Donnerstag:
Abends wiederholte sich dieselbe Aktion, diesmal ein Stockwerk höher im Badezimmer der Kinder. Das Bad hatten die Kinder  – mild ausgedrückt – etwas vernachlässigt, so dass ich gegen die hartnäckigeren Varianten des Schmutzes rubbeln und schrubben und ankämpfen musste.

Freitag:

Vormittags:
8 Uhr: Ein Heizungsinstallateur traf ein, um sich mit einem Wasserrohrbruch an einem Zuleitung zum Heinzugskessel zu befassen. Dies war nichts spektakuläres, denn es tröpfelte ganz zaghaft und die Zuleitung lag frei. Nach etwa drei Stunden war das Thema erledigt, und besonders hatte ich mich darüber gefreut, dass sich für die Bezahlung unsere Wohngebäudeversicherung zuständig fühlte.
11 Uhr: Die Mutter der besten Freundin unserer Kleinen rief an, dass ihr Mann einen Verkehrsunfall gebaut hatte. Er war zwar nicht Schuld, aber Stoßstange und Motorhaube waren erheblich beschädigt. Meine Frau fuhr zu der Mutter, sie musste am Telefon noch Details mit ihrem Mann klären, dann fuhren die beiden zur Unfallstelle, an der das beschädigte Auto kurz später abgeholt wurde.

Abends:
17 Uhr: Ich kam zu Hause an und fuhr, ohne großartig meine Jacke auszuziehen, mit dem Auto einkaufen.
17:45 Uhr. Ich hatte gerade die Einkäufe bei LIDL beendet, da rief mich meine Frau an, ob ich unserem Sohn als nächstes eine Gyros-Pizza mitbringen könnte, er hätte den ganzen Tag nichts gegessen und wäre am Verhungern. Als ich mit der Pizza zu Hause ankam, hockte er auf unserer Couch, um das Kinn einen dicken Mullverband, dran geklatscht wie ein unpassender Klotz. Arbeitsunfall. Unser Sohn ist Auszubildender, er nimmt an einer überbetrieblichen Fortbildung in Köln-Ossendorf teil, und dort hatte ein anderer Auszubildender mit einem Werkstück aus Eisen herumgefuchtelt und ihn mit der spitzen Kante am Kinn getroffen. Es hatte wie wild geblutet, mit dem Taxi war er ins Krankenhaus gefahren, die Wunde war geklebt worden, danach hatte er sogar weiter gearbeitet. Nichts dramatisches, nur der Verband störte immens an dieser ungünstigen Stelle. Weil die Verarzterei über die Mittagspause geschah, hatte er den ganzen Tag nichts gegessen.
20 Uhr. Nach den Einkäufen, erstes Abendessen (Möhrengemüse mit Mettwurst) und zwei Back-Aktionen (Buttermilchbrot und Hefezopf) trafen unsere Gäste aus Hamburg pünktlich ein, trotz Sturm und Regen und Schnee im Bergischen Land.
21 Uhr: zweites Abendessen mit selbstgebackenem Brot. Der gemütliche Teil begann. Klönen, Quasseln, Lachen. Später werden mehrere Flaschen RIOJA geköpft. Wir feiern unser Wiedersehen bis mitten in die Nacht.

Samstag:

Vormittags:
7 Uhr: ich fuhr unsere Hamburger Gäste zum Bonner Hauptbahnhof, 7:30 Uhr Abfahrt des Sonderzugs „Rheingold“. Zu Hause, nach unserem Frühstück, ersten Teil unseres Käse-Sahne-Kuchens backen (Kuchenboden). Danach riefen wir unsere große Tochter an, wie sehr der gestrige Orkan in Freiburg gewütet hatte. Im Autoradio hatte ich in SWR1 (Rheinland-Pfalz, nicht Baden-Württemberg) gehört, dass von Kaiserslautern bis Landau der Zugverkehr zum Erliegen gekommen war. Nicht viel besser war es dem Autoverkehr durch umgestürzte Bäume ergangen. Davon hatte unsere große Tochter herzlich wenig mitbekommen, denn sie befand sich den ganzen Tag in einem Seminar in einem fensterlosen Hörsaal. Abenteuerlich war die Fahrt mit der Straßenbahn zur Uni hin und zurück, aber umgestürzten Bäumen oder herab gekippten Baugerüsten war sie nicht begegnet. Ebenso war sie nicht von herabfallenden Dachziegeln erschlagen worden. Heute Morgen schneite es sogar in Freiburg, und alles war leicht angezuckert. Beruhigt setzte ich die Putzerei fort, bis ich aus meinem Reinigungs-Drang herausgerissen wurde: aus dem Kinderzimmer hallte ein Schrei so laut wie eine Siredne, das Weinen war herzzerreißend und unsere Kleine hörte nicht damit auf. Wir trugen sie nach unten auf unsere Couch. Was sie getrieben hatte, war auf den Knien unübersehbar: geschwollen und blau angelaufen, war sie auf ihrem Hochbett herum geturnt und von der Holztreppe mit den Knien auf den Boden gestürzt. Wir kühlten mit blauen Kühl-Packs, sie trank und löffelte größere Mengen Arnika in sich hinein. Wir hatten Glück gehabt: sie beruhigte sich, bewegte später ihre Knie wieder. Nachmittags spielte sie wieder, Zwiegespräche mit ihren Puppen führend, wie wir es sonst kannten, in ihrem Kinderzimmer.

Mittags:
Der zweite Teil unseres Käse-Sahne-Kuchens (Kuchenboden teilen und Käse-Sahne-Füllung dazwischen streichen) geriet wegen des Sturzes unserer Kleinen aus dem Fugen. Da der Kuchen noch zwei Stunden im Kühlschrank verweilen musste, würde er erst gegessen werden können, wenn unser nachittäglicher Besuch bereits eingetroffen war.

Nachmittags:
Nachdem wir unser Mittagessen kurz in den Tagesablauf dazwischen geschoben hatten, stand auch diesmal unser Besuch pünktlich auf der Matte. Klönen, Quasseln, Lachen. Wir feierten unser Wiedersehen mit Kaffee und Kuchen. Bemerkenswert war noch, dass sie sich die attraktive Bonner Umgebung etwas ausgiebiger ansehen wollten und deshalb in der Jugendherberge in Bad Honnef übernachteten. Wenn wir dies besser koordiniert hätten, hätten sie sogar bei uns übernachten können, denn nachdem unser großes Mädchen in Freiburg studiert (und in Freiburg ist), steht ihr großes Kinderzimmer grundsätzulich frei.

Abends:
Wir konnten uns eine kurze Atempause gönnen, denn unsere Hamburger Freunde mussten erst um 22:36 Uhr vom Bonner Hauptbahnhof abgeholt werden. Zu Hause angekommen, wieder Klönen, Quasseln, Lachen und dabei RIOJA und Altenmünster genießen. Bis 2 Uhr in der Nacht.

Sonntag:
8 Uhr, das war eine seltene Uhrzeit, dass uns unsere Kleine so lange schlafen ließ. Meistens waren es 6 Uhr, spätestens 7 Uhr am Wochenende. Heute meinte sie es offenbar gnädig mit uns. Weil von unseren Hamburgern noch nichts zu hören war, kleckerte ich mit der Vorbereitungs des Frphstücks vor mir her. Draußen war übrigens das Freiburger Wetter von gestern zu uns gewandert: fröhlich tanzten die Schneeflocken vor sich hin, weiß waren die Dächer und unser Rasen. Nachdem unsere Hamburger Freunde sich zu uns bequemten, streckte sich das Frühstück bis in die Mittagszeit. Noch ein selbst gebackenes Brot essen, noch ein Kaffee, wir breiteten uns aus und genossen den Augenblick. Schließlich war es für uns beide eine ziemliche Weltreise nach Hamburg. Und ungewiss, wann wir uns wieder sehen könnten.

Gegen 14 Uhr Abreise. Ein letztes Winken. Ihr SAAB, der – sage und schreibe – über 400.000 km auf dem Buckel hatte, bewegte sich zögernd vom Fleck. Auf Richtung Hamburg.

Freitag, 16. Dezember 2011

Schnellbus 55


„Ist das der Schnellbus ?“ fragt die Mittvierzigerin mit dem Regenschirm in der Hand.
„Nein“ antwortet der Busfahrer.
Eigentlich ist diese Frage überflüssig, denn die übergroße Leuchtschrift zeigt auf der Frontseite unwiderruflich die Buslinie 550 an.
„Wann kommt der Schnellbus ?“
Der Busfahrer zuckt mit den Achseln.

Eine typische Szene ? Eher nicht, denn die Verspätungen des Schnellbusses halten sich derzeit in Grenzen. Vor einem Jahr herrschten aber zu bestimmten Abfahrtszeiten italienische Verhältnisse, denn dann kam der Schnellbus nach Lust und Laune oder er fiel ganz aus.

November bis Januar, in dieser dunklen Jahreszeit macht es mir keinen Spaß mehr, im Stockfinsteren mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren und wieder nach Hause zurück. Auf unbeleuchteten Passagen ist das Fahrradfahren bisweilen auch gefährlich, wenn Spaziergänger, Hunde oder Jogger aus dem Nichts auftauchen, so dass ich ihnen nur um Haaresbreite entweichen kann.

Im Schnellbus muss sich mein Körper und meine mentale Verfassung auf einen komplett anderen Rhythmus umstellen. Die Taktung von Bewegung, Sinne und Wahrnehmung wird durch die Abfolge von Bushaltestellen bestimmt, egal, ob der Bus steht oder fährt. Vieles geht gemächlicher ab. Erst warten, bis der Bus am Busbahnhof einfährt. Ist dieser nun eingefahren und zum Stillstand gekommen, mutieren manche Busfahrer zum Genießertypen. Sie schwelgen in einer bierseligen Ruhe, steigen aus, verschließen sämtliche Bustüren, verschwinden im Schneckentempo und lassen die Fahrgäste stehen und fleißig schmoren. Eine Zigarettenlänge später kehren sie dann mit einem Pappbecher Kaffee zurück, damit man schlussendlich einsteigen kann.

Ein Glück, dass ich am Busbahnhof, der ersten Haltestelle, einsteige, denn dort habe ich noch die freie Wahl des Sitzplatzes. Gerne verkrümele ich mich auf den hinteren Sitzbänken, um ein Buch oder eine Zeitung auspacken. Dies ist durchaus eine der Vorzüge des Busfahrens: die Zeit zum Lesen. 

Sitzen, vor mich hergucken, in Buch oder Zeitung herumschmökern. Der Rhtyhmus des Busfahrens ist mehr an Zufälle gekoppelt als an eine regelmäßige, fortschreitende Bewegung. Im Stadtgebiet stolpert der Bus eher nach vorne: immer wieder bremsen, Ampel stehen auf Rot, Vorwärtsbewegung, dies abschnittsweise, denn Beschleunigungsmanöver werden ständig unterbrochen durch rote Bremslichter im voraus fahrenden Verkehr. An den Haltestellen, nachdem die Fahrgäste eingestiegen sind, verzögert sich die Abfahrt schon mal ins Unermessliche, wenn der Fahrscheinverkauf zu einer riesengroßen Aktion ausartet.

Neben Verspätungen ist das schlimmste, wenn die Heizungen nicht funktionieren. Bei einer regnerischen und muddeligen und milden Witterung wie heute lässt sich dies ertragen, doch wenn draußen die Temperaturen mit etlichen Minusgraden in den Keller stürzen, wird dies zu einem echten Problem. Bibbern und Zittern ist da angesagt, und mit Schal, dicker Jacke, Fausthandschuhen und Ohrwärmern muss ich mich gegen die sibirische Kälte so einpacken, als ob ich mit dem Fahrrad unterwegs wäre. Die ganzen Fensterscheiben sind dann eingehüllt in eine Dekoration von Eisblumen. Das macht überhaupt keinen Spaß und ich komme mir von der Außenwelt isoliert vor wie in einem Gefängnis.

Wenn der Bus das Stadtgebiet verlassen hat, beeilt er sich ordentlich und wird (hurra !!!) zu einem Schnellbus – mit dem Komfort einer eigenen Busspur. Konzentration und Lesen fallen mir leichter, wenn sich die Fahrgäste nicht hektisch hin- und herbewegen und mit dem Blick auf das Display ihres Smartphones in sich ruhen. Die Dunkelheit draußen hat dann nichts lähmendes mehr, wenn die Lichter der Straßenlaternen als Punkte vorbei fliegen. Die Busfahrt gewinnt an Fluss und Kontinuität. Ich komme zum Lesen: „Die Hirnkönigin“ von Thea Dorn, und Seite für Seite blättere ich vorwärts.

An der großen Kreuzung kommt vor der roten Ampel die Blechlawine zum Stillstand. Wenn die Ampel auf Grün umspringt, wird die sich die Busfahrt fortsetzen. Ich freue mich auf zu Hause.

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Greulich-Wichteln

Er war eine schlechte Imitation des Weihnachtsmanns, der an unserem Tisch vorbei schritt. Der weiße Bart saß zu locker, die rote Mütze schlabberte ins Gesicht hinein, der rote Mantel tropfte bis auf den Boden hinunter. Er steuerte auf den Ecktisch in diesem Keller zu, und danach konnte ich nur bruchstückhaft erkennen, was geschah, denn ich saß am Ende unseres Tisches und meine Kollegen verdeckten mir die Sicht. In einem Restaurant am Kölner Heumarkt feierte ich mit meinen Arbeitskollegen unsere Weihnachtsfeier.

Jedenfalls stellte der Weihnachtsmann einen Sack voller Geschenke auf den Tisch, reihum nahm jeder ein Geschenk heraus, viele drucksten beim Öffnen des Geschenks herum. Schließlich Gelächter, Kommentare und lautstarkes Lamentieren. Die einzelnen Geschenke konnte ich nicht erkennen, aber das Ritual sah danach aus: Greulich-Wichteln.

Ich erinnerte mich, dass wir vor neun Jahren mit unseren Arbeitskollegen auf diese Art ebenso unsere Weihnachtsfeier gestaltet hatten. Unsere damalige Chefin hatte diese Tradition mitgebracht. Da sie uns im Jahr danach verlassen hatte, blieb es bei diesem einen Mal.

Das Wichteln kannte ich von meinem Schwager, in seinen Behinderten-Gruppen. Beschaffen musste dieses Wichtel-Geschenk meine Frau. Jedes Jahr zerbrach sie sich den Kopf, was man mit möglichst wenig Geld möglichst einfallsreich besorgen konnte. Dies wurde dann in unsere Weihnachtseinkäufe hineingetaktet. Zwischen irgendwelchen Sonderangeboten schafften wir es dann, eine DVD, einen Kalender oder als Präsent verpackte Süßigkeiten zu kaufen. Was mein Schwager dann zurück geschenkt bekam, war mehr als mickrig: oft waren es Tassen mit unterschiedlichsten Motiven – Weihnachtsmänner, der Kölner Dom oder anderer Krimskrams.

Greulich-Wichteln, bei unserer Weihnachtsfeier vor neun Jahren hatten wir reichlich Spaß. Das waren prickelnde Momente voller Anspannung, wenn die Losnummern gezogen wurden, die Geschenke aus dem Sack herausgenommen wurden und – die Anspannung stieg ins Unerträgliche – geöffnet wurden. Das Spektrum der Reaktionen war sehr breit gefächert. Es reichte von Zustimmung über Zerknirschtheit, Entsetzen, Meckern, Kopfschütteln bis hin zu Ekel, Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit. Die anderen, die beim Auspacken zugeschaut hatten, krümmten sich vor Lachen, sie jaulten, sie konnten nur noch wegschauen oder sie bedauerten den Beschenkten und zeigten ihr Mitgefühl. 

Ich erinnere mich nur an wenige konkrete Geschenke vor neun Jahren. Es waren in jedem Fall mehrere Geschenke in grässlichen Farben oder unpassende Motiven dabei. So etwas wie eine Obstschale mit knallgelbem Rand. Oder eine Tasse mit Halloween-Motiv, so dass man beim Trinken direkt in die Fratze eines Halloween-Gesichtes hineinschaute.

Eine CD mit deutschen Schlagern war auch dabei, ich meine, es wäre Andrea Berg gewesen. Für solche Fälle konnte noch getauscht werden. Bei uns gab es nämlich eine Kollegin, die Andrea Berg mochte. Zum Schluß blieben diejenigen Kollegen, die die hässlichsten Geschenke gezogen hatten, darauf sitzen.

Und was hatte ich geschenkt bekommen ? Ich gehörte zu den Glücklichen, denn das Geschenk hat bis heute einen wohlbehüteten Platz in unserem Haus bekommen. Es war ein Bild, etwa so groß wie eine Ritter-Sport-Schokolade, in einem dunklen Holzrahmen mit einer Landschaft voller Wald und einem Bach, der in der Mitte daher floß. Barbie-Puppen haben ja einen Sinn für Schönheit, also auch für Malerei. Ein so schönes Gemälde gehört in das Barbie-Puppenhaus.

Köln, Zülpicher Straße

Wie oft war ich dort früher entlang gelaufen ? In der 80er Jahren hatte ich sechs Jahre in Köln gewohnt. Vom Bahnhof Köln-Süd bis zum Zülpicher Platz, das war ein bequemes Stück zu Fuß über die Zülpicher Straße, nicht weit weg vom Herzen Kölns und dem Einflussbereich der Universität, denn in dieser Zone zwischen Bahndamm und Hohenstaufenring prägten die Studenten das Straßenbild. Heute ging ich seit langem dieses Stück wieder zu Fuß.

Was war von früher noch geblieben ? Unbeschreiblich viel, denn früher und heute war es faszinierend, auf so engem Raum in eine solche Vielfalt von Kneipen eindringen zu können. Das Innenleben der Kneipen war stets einfallsreich: in der einen Kneipe baumelten an der Decke Netze und Kleiderbügel, in der anderen begegneten einem ausgestopfte Tiere, in einer Kneipe in einer Seitenstraße wurden nur Vinylplatten gespielt – im Zeitgeist der 70er Jahre. Kwartier Latäng nannte sich eine Kneipe, eine Lobeshymne auf Kölsch an das kulturelle und bodenständige Viertel in Paris. 

Als ich in Köln gewohnt hatte, hatte mich diese Kneipenvielfalt magisch angezogen. Zugegeben, sie tat es heute noch. 

In den 80er Jahren hatte ich festgestellt, dass ich in der Dynamik der Großstadt angekommen war. Gruppen und Grüppchen frequentieren die Kneipenszene, man blieb anonym. Eine richtige Stammkundschaft fand man dort nicht, vieles blieb unverbindlich, schwammig, oberflächlich. Tiefergehende Kontakte hatte ich während meiner sechs Kölner Jahre dort nie knüpfen können. 

Zu dieser Zeit war ich gerne tagtäglich die Zülpicher Straße rauf und runter gegangen, um in kreativer Umgebung vor dem Zubettgehen ein Bier zu trinken. Nach draußen gehen und diese Vielfalt von Leuchtreklamen auf mich wirken lassen. Soul Bar, Cuba Bar, Spielhöllen, mit dieser Menge von Lichtern und Leuchtreklamen war es ein Abklatsch auf die Reeperbahn – aber vollkommen sauber, ohne Sex, Drugs and Rock’n’Roll. So war ich richtig gut drauf.

Kein Zweifel, die Zülpicher Straße konnte mitten im Trubel der Großstadt neue Akzente setzen: mein heutiger Gang führte an der Filmdose vorbei, auf dessen Bühne die Entertainer Ralf Morgenstern und Dirk Bach ihre Karriere begannen. Dann das Off Broadway, ein alternatives Szene-Kino, das einzige in der Umgebung, welches originale Filme in Englisch oder Französisch mit Untertiteln zeigte. Ein Stück dahinter, prangerte in einer Pizzeria an der Wand ein Flachbildschirm, fast so groß wie ein Wohnzimmerschrank. Bundesligaspieler kickten sich den Ball zu, so dass man meinte, man wäre am Tisch mit dem servierten Essen direkt Live im Stadion anwesend. Zwischen der intensiven Kneipenlandschaft herrschte auch Verfall: um ein leerstehendes Ladenlokal hatte sich niemand mehr gekümmert, Plakate verrammelten die Fensterscheiben, auf heruntergelassenen Rolläden waren Graffitis schlecht gesprüht, aus denen sich mit viel Phantasie Gesichter interpretieren ließen. Die Fast-Food-Gastronomie war hier kräftig expandiert. Asiatisch, griechisch, marokkanisch, alles kreiste irgendwie um Falafel, den man an jeder Straßenecke bekam, und es kam mir vor, dass dies das Nationalgericht auf der Zülpicher Straße war.

Eine Konstante, an der sich nichts verändert hatte, war Gilberts Pinte. Unverrückbar, lud der geschwungene und gelb beleuchtete Schriftzug zum Eintreten ein. Eingang und Fenster waren eingerahmt zwischen hervorstehenden Wandelementen und einem verspielten Balkon. Mit dem weißen Anstrich wirkte die Fassade jung und frisch wie früher. Direkt auf die Straßenecke der Roonstraße zulaufend, fiel man geradezu in das Lokal hinein.

Der Zülpicher Platz, dort wollte ich mit der Straßenbahn weiterfahren. Dem Platz mit dem Chor zugewendet, wirkte die Herz-Jesu-Kirche wie ein Fremdkörper in dieser Kneipen- und Vergnügungslandschaft. Zudem war die Kirche gnadenlos zwischen Hauptverkehrsadern eingezwängt, auf denen unerbittlich der Verkehr rollte. Barbarossaplatz, Zülpicher Platz, Roonstraße, Zülpicher Straße, bis tief in die Nacht würde das Leben in den Straßen pulsieren. 

Meine Straßenbahn nahte. Die Linie 9 rauschte weiter hinein, in das pulsierende Leben von Köln.

Dienstag, 13. Dezember 2011

Matthias Reim - letzte Weihnacht

Das war ein seltenes Musikerlebnis, denn die deutschsprachige Fassung gefiel mir besser als das englische Original. Üblicherweise ist dies umgekehrt: in der deutschen Sprache gesungen, verstehe ich das seichte und oberflächliche Niveau, die trivialen Texte stoßen mich ab, Akzente und Konturen des Gesangs stumpfen ab. Stücke in deutscher Sprache müssen da schon mit Inhalten, Klangerlebnissen oder Botschaften glänzen.

Letzten Sonntag Vormittag hatte ich im Fernsehen herumgezappt und landete bei Andrea Kiewel – die Adventsshow im ZDF. „Last Christmas“ sollte gesungen werden, auf deutsch mit Matthias Reim. Die englische Version von Wham war nie mein Musikgeschmack gewesen.

Normalerweise hätte ich weiter gezappt – ein Weihnachtslied und das noch auf deutsch. Es war die Person von Matthias Reim, die mich darin hinderte. Nicht, dass ich seine Musik mochte –  beispielsweise „verdammt, ich lieb Dich“: das war für mich ungefähr deutscher Schlager und somit abschreckend. Auf die Person von Matthias Reim war ich aufmerksam geworden, als er vor längerer Zeit im SWR1 Radio-Talk interviewt wurde. Unglaubliche 13 Mio € Schulden hatte er gehabt, weil er seinem Manager eine Generalvollmacht über seine Geschäfte übertragen hatte und dieser sich beim Kauf von Firmen und Immobilien verspekuliert hatte. Noch unglaublicher war es, dass Matthias Reim es geschafft hatte, durch neue Platten und steigende Verkaufszahlen seine Schulden wieder loszuwerden.

Matthias Reim begann zu singen. Gemeinsam mit ihm hingen acht knackige junge Frauen gelangweilt auf der Bühne herum, die sich im Weihnachtsmann-Kostüm lustlos hin- und her bewegten. Gitarren, auf denen sie höchstens ansatzweise spielten, baumelten um ihre Hüften. Auf reine Dekorationszwecke reduziert, summten sie leise die Melodie vor sich hin.

Der rauchige Klang seiner Stimme mischte dieses Weihnachtslied neu auf. Sie verlieh dem Stück eine Stärke und Intensität, die es in der englischen Version nicht gab. Er betonte Passagen, seine Reibeisenstimme schwoll an. Gemütlichkeit und Weihnachtsatmosphäre durchdrangen mich in dieser nicht nachlassenden Stimme.

Dazu passte sein etwas gesetztes Alter: er war Mitte 50, sorgsam durchzogen Falten sein Gesicht und hinter seinen blond gefärbten Haaren vermutete ich, dass das Gesamtbild seiner Frisur vor den grauen Haaren kapituliert hatte. Entschlossen das Mikrofon in seiner Hand haltend, strahlte er Reife, Erfahrung und Seriosität aus.


Letzte Weihnacht ist ein Jahr her,
ich gab dir mein Herz, jetzt willst dus nicht mehr.
Diesmal das schwöre ich dir, da schenk ich es einer bessren.
Wir wollten zu zweit sein, am Weihnachtsabend, jetzt sitze ich hier allein,
doch zu stören, scheint dich das nicht,
wie du mir jetzt hier, einfach mein Herz brichst.
Frohe Weihnachten sprichst du mir auf mein Handy,
und ich frag mich, was soll das jetzt endlich,
jetzt weiss ich erst, was ich für dich bin
und weiter zu trauern macht echt keinen Sinn.


Einfach schön !