In der Nachkriegszeit kaufte Hans Gerling, der als erstes
deutsches Versicherungsunternehmen von der amerikanischen Militärregierung die
Zulassung erhalten hatte, das Areal. Innenstadtnah, befand sich das von den Nazis geplante Gelände zwischen der romanischen Kirche St. Gereon und dem Hohenzollernring, der
Kölner Boulevardstraße.
Gerling war ein Kölner Familienunternehmen, welches 1904 Robert
Gerling gegründet hatte. Das Unternehmen spezialisierte sich im Laufe der Zeit
auf Industrieversicherungen. Das sind dieselben
Sachversicherungen wie für Privatkunden, aber auf die speziellen
Versicherungsbedarfe von Unternehmen angepasst: beispielsweise
Haftpflichtversicherungen für Hochseereedereien oder Feuerversicherungen für
Gasversorger …
In der Zeit von Hans Gerling wuchs die Gerling-City in zwei
Bauabschnitten: in den 50er Jahren der Ehrenhof mit umliegenden Bürogebäuden, in den 60er Jahren entstand in demselben Stil der Klapperhof. In diesen
Bürogebäuden war die Zentrale des Gerling-Versicherungskonzerns untergebracht.
Das Geschäft mit Industrieversicherungen brummte, Gerling
expandierte. Vor allem ins Ausland, und davon in die USA. Und Gerling stieg in
das Rückversicherungsgeschäft ein, dort war es auch die USA. Sämtliche
Versicherungsunternehmen haben Vorgaben hinsichtlich Liquidität, damit
sichergestellt ist, dass in Schadensfällen oder auch bei Lebensversicherungen
Zahlungen erfolgen können. Bei flächendeckenden Katastrophen z.B. Unwetter,
Erdbeben, Reaktorunglück Fukushima müssen Rückversicherungen die eigentlichen
Sachversicherer finanziell unterstützen, wenn diese infolge zu hoher Schadenserstattungen
die Liquiditätsvorgaben nicht mehr erfüllen.
Gerling expandierte, so dass auch neue Büroflächen gebraucht
wurden. Wie eine Krake griff Gerling in die umliegenden Viertel um sich. An den
Klapperhof, den letzten Erweiterungskomplex, grenzte das Friesenviertel.
Gerling verfolgte eine Salami-Taktik, indem einzelne Gebäude nach und nach
aufgekauft wurden. Der Flickenteppich, welche Gebäude Gerling gehörten, wurde
immer dichter.
Das Friesenviertel rund um den Friesenplatz und der
Friesenstraße erhielt seinen Namen von dem gleichnamigen Volk: den Friesen.
Bereits in der karolingischen Epoche hatten sich friesische Kaufleute vor den
Toren Köln niedergelassen. Um 1100 war die Friesenstraße bereits für ihre Webereien bekannt. In den
folgenden Jahrhunderten war das Friesenviertel ein Verkehrsknotenpunkt und
entwickelte sich zu einem lebhaften Handelszentrum. Bis in die 70er Jahre war das Friesenviertel dicht
und kleinteilig mit kleinen Geschäften bebaut und hatte einen typisch Kölner
Veedels-Charakter: enge Straßen, niedrige Häuser, Vergnügungslokale, Geschäfte
vom Trödler bis zur Galerie, altkölsche Gaststätten, ein buntes Gemisch von
Einwohnern aus unterschiedlichen sozialen Schichten.
Innenstadtnah, wurde nicht allzu viel saniert, so dass die
Ausländeranteile wuchsen und sich Teile der Rotlicht-Szene etablierten. Dieser
zunehmende Verfall zeigte sich in den 70er Jahren, als Gerling Haus für Haus
immer mehr in das Friesenviertel eindrang. Der Grundbesitz von Gerling wuchs auf
diese Art und Weise als eigene Stadt mitten in der Stadt Köln auf 94.000 qm an.
Als das Friesenviertel nahezu vollständig Gerling gehörte, wurde gemeinsam mit
der Stadt Köln ein Bebauungsplan aufgestellt, in dem die Wohngebäude
überwiegend abgerissen werden sollten und neue Bürolandschaften in großem Stil
für das Dienstleistungsgewerbe gebaut werden sollten.
Die Stadt Köln sollte sich um die Umsiedlung der Bevölkerung
in anderweitigen Wohnraum kümmern. In der Folgezeit leerten sich die
Wohnbauten, in manchen Häusern schafften die Bewohner es noch, auszuharren. In
einer Großstadt wie Köln mit knappem Wohnraum und vielen Wohnungssuchenden
wurden die Leerstände als Provokation empfunden. Bereits in anderen Stadtteilen
– in der Südstadt oder im Belgischen Viertel – hatte die Hausbesetzerszene um
sich gegriffen. Man probte den zivilen Ungehorsam gegenüber dem Staat. Transparente
hingen aus den Fenstern: „wir wollen keine Vertreibung“ … „kein Bagger schiebt
uns fort“ … „wer räumt, wirft den ersten Stein“ ….Und die Hausbesetzer
hatten ja auch Recht: es waren gewachsene Stadtviertel, in denen die Menschen
über Jahrzehnte gewohnt hatten, und nun sollten sie vertrieben werden. Ging so
etwas nicht gegen die Menschenwürde ?
In Zeiten der Massenmedien wurde über eine breite
Öffentlichkeit für dieses Problem sensibilisert und die Stadt lenkte ein: der
Bebauungsplan wurde überarbeitet, die ursprünglich geplante Bürolandschaft
wurde reduziert, dafür stieg der Anteil an Wohnraum. Eine besondere Duftmarke
setzte die Denkmalbehörde: in bestimmten Straßenzügen durfte Wohnraum zwar neu
gebaut werden, aber die ursprünglichen bürgerlichen Fassaden mussten erhalten
bleiben. So ist die Friesenstraße heuzutage wieder fein herausgeputzt und
gemütlich. Ein Zentrum der Kölner Lebensart ist das Brauhaus Päffgen, aber auch
die umliegenden Geschäfte, Restaurants, Pubs wirken einladend.
Nach der Sanierung des Friesenviertels folgte nach dem 11. September
2001 der Niedergang des Gerling-Konzerns. Das Rückversicherungsgeschäft war die
Achillesferse. Der 11. September belastete zunächst Rückversicherungszahlungen
an amerikanische Lebensversicherer. Danach stürzten die Aktienkurse vieler Rückversicherer
ins Bodenlose ab, so dass der Aktienkurs der amerikanischen
Rückversicherungstocher schließlich nur noch Schrottwert war. Diese
amerikanische Beteiligung war in die Konzernbilanz zu konsolidieren. Durch die
Abschreibungen häuften sich die Verluste so sehr an, dass in 2006 der
Gerling-Konzern an den Talanx-Versicherungskonzern mit Sitz in Hannover
verkauft wurde.
In Gerling-City, das nun Gerling-Viertel hießt, darf nun
unter der Regie des Talanx-Konzerns wieder fleißig umgebaut werden. Diesmal
geht es um mondäne Eigentumswohnungen für den besonders gehobenen Lifestyle.
Geräuschlos gehen diese Umbauten natürlich nicht vonstatten. Lange Zeit wurde
vor Gericht gestritten, dass die Höhe der Wohnbauten die Traufhöhe des Hauptschiffes
der romanischen Kirche St. Gereon von 22,50 Meter nicht überschreiten darf. Ja,
sie darf diese Traufhöhe um 2 Meter überschreiten, hat zuletzt das Oberverwaltungsgericht
entschieden. Der Umbau kann also voranschreiten.
interessanter Artikel!
AntwortenLöschenjetzt habe ich gerade Gerling quartier in die google maschine geschmissen - und bin durch das neu geplante Quartier spaziert ...
lieber Gruß von heidi-Trollspecht
Hallo Dieter, vielen Dank für diesen spannenden und umfangreichen Artikel. Mit der Kölner Stadtgeschichte kenne ich mich leider (noch) wenig aus. Daher war es umso interessanter zu lesen.
AntwortenLöschenEs ist schon verrückt, was eine Stadt für diverse Unternehmen tut und ihre eigenen Bürger zugunsten derer vertreiben will. Viele denken da echt zu kurzfristig. Auf der anderen Seite muss sich eine Stadt auch den Bedürfnissen der Zeit anpassen....
Interessanter Post! Heisst es nur im Volksmund "Gerling-City" oder hat er tatsächlich diese offizielle Ehrung von Köln erhalten? Ich hätte von dir nie gedacht, dass du dich von der Hausbesetzerszene angezogen fühlen/ sympathisieren würdest. Durch die Salamitaktik des Versicherungskackers war sein Verhalten vermutlich ein wenig voraussehbar. Gut, dass er dann an seinem Rückversicherungsgeschäft eingegangen ist, womit ich nicht das Attentat am 11.09. gutheißen möchte. Ich bin auch der Meinung, dass es extrem gegen die Menschenwürde geht, Leute aus ihren Wohnungen zu vertreiben - egal ob es durch Mieterhöhungen oder Räumung von Besetzern in zuvor leerstehenden Häusern geschieht. Auch finde ich, dass im Grundgesetz ein Recht auf Wohnen mit eigenem Mietvertrag fehlt. So etwas wie auch eine Arbeitsstelle, die einem wirklich zustehen sollte und an der man sich verwirklichen kann, anstelle vom Unternehmer verbraucht und verheizt zu werden. Auf der Cuvrybrache wohnen ja nun auch Menschen in Zelten, und in Berlin gibt es definitiv nicht genug Wohnraum für Niedrigverdiener und H4-Empfangende. Bei uns steigt die Obdachlosigkeite zusehends an.
AntwortenLöschenDu kannst deine Maus bei mir auf das Bild schieben. Dann erscheint ein gelber Kasten mit einem Text (title). Darin stehen immer ein paar erläuternde Worte zu dem Foto. Deshalb wusste Christa von der Planung, ein Einkaufszentrum auf das Gelände zu bauen. Der Plan ist aber lange vom Tisch. Geld hängt trzd an dem Streit, und der Staat schützt das Kapital, denn Allgemeinwohl lässt sich so oder auch anders definieren.
Schön, dass du gesund, munter und blogmotiviert aus dem Urlaub zurück bist. Deine Kommis hatten mir schon gefehlt. hihi
Viele Grüße aus Berlin,
Wieczorama (◔‿◔) | Mein Fotoblog