Sein Auftritt verflüchtigte sich. Wie aus dem
Nichts, war der junge Bursche von der Haltestelle in den Bus geschlüpft.
Nachdem sein Blick sich an dem Busfahrer fest gekrallt hatte, klimperte er in
seiner Geldbörse herum und schmiß dem Busfahrer sein abgezähltes Geld hin, der
den Fahrschein zückte.
Ich traute meinen Augen nicht. Schräg senkten
sich die Sonnenstrahlen, und die eisige Kälte ließ die Felder vor Blässe
ermatten. Minus fünf Grad waren es, das stellte ich später zu Hause fest. Derb
glänzte der Asphalt: aus dem Fenster sah ich auf das raue Band der Straße,
dessen gerade Linie sich bis zum Sportplatz schob. Dort piecksten die
Flutlichtmasten hinter einer Anhöhe heraus.
Ich traute meinen Augen nicht, denn sein
Oberkörper war nur mit einem aschgrauen T-Shirt bekleidet, dass über seinem
schlappen Oberkörper hinunterfiel. Zittern und bibbern musste er vor Kälte.
Denn in dem Bus war es trotz Heizung so kalt, dass ich mich in meine Jacke
einkuscheln musste. Kräftig war er, und mit seinen breiten Schultern wirkte er
sehr männlich. Vielleicht Anfang 20, hatte seine glatte Haut und sein schmales
Kinn jungenhafte Gesichtszüge. Seine nackten Arme zeigten sogar einen Hauch von
Röte, als ob der Kälteschock sich in einen Sonnenbrand verwandelt hätte. Und er
strich sich mit seinem Zeigefinger über seine Haarlocke, die sich so
schwunghaft über seiner hohen Stirn kräuselte, dass sie für einen Maler ein
schönes Portrait abgegeben hätte.
Lässig wie James Dean schritt er durch den
Bus. Wie auf einem Laufsteg, spähte sein Blick nach links, nach rechts in die
unbestimmte Menge der Fahrgäste. Diese schauten unbeteiligt aus dem Fenster
heraus, ertrugen die frostkalten Stimmungen, lasen weiter ihre Tageszeitung oder
scrollten auf ihrem Smartphone Facebook-Seiten herunter.
Ohne irgendeine Aufmerksamkeit zu erzeugen,
setzte er sich auf einen freien Platz. Wieso fror er nicht ?
Ich dachte an eine Begebenheit zurück, die
etwa 20 Jahre zurücklag. Ein früherer Arbeitskollege meiner Frau war während
seiner Bundeswehrzeit bei der Marine in Schleswig-Holstein nahe der dänischen
Grenze stationiert. Egal zu welcher Jahreszeit, war es dort durchgehend fünf
Grad kälter wie bei uns. Da war es zur Angewohnheit geworden, wenn er am
Wochenende nach Hause kam, dass er sich in Schleswig-Holstein in warme
Klamotten eingepackt hatte und diese auszog, je näher seine Heimat rückte.
Waren es in Schleswig-Holstein minus 10 Grad, dann zog er auch bei minus 5 Grad
zu Hause seine warmen Pullover aus.
War er bei der Marine und auf Wochenendbesuch
?
Unserem Sohn war im letzten Winter das
Missgeschick passiert, dass er als Arbeitskleidung an einem frostig kalten
Wintertag seine warmen Pullover zu Hause vergessen hatte. Bekleidet nur mit
einem T-Shirt musste er dies den ganzen Tag aushalten, quer über das
Flughafengelände, ohne nennenswerte Anteile in irgendwelchen Innengebäuden
verbringen zu können. Wie ein Eisklotz war er von der Arbeit gekommen, noch bis
spät abends hatte er gebibbert und gefroren. Seine Gänsehaut war nicht verschwunden. Und er hatte uns unendlich Leid getan.
Zwei Haltestellen weiter, stand er auf. Er
versuchte, zur Legende empor zu wachsen. Mit stolzer Brust drehte er sich um und
wendete seine graziöse Gestalt zum Busausstieg. Diesmal zupfte er mit dem
anderen Zeigefinger an seiner Haarlocke und strich über sein glatt nach hinten
gekämmtes Haar. Wieder sein magnetisierender Blick in den Bus hinein. Dann
stieg er aus, und niemand hatte Notiz von ihm genommen.
Interessante kurze Begegnung zum Innehalten für einen Moment- Du hast es wieder einmal faszinierend und lebendig beschrieben-als wäre ich dabeigewesen... LG Marita
AntwortenLöschenEine gute Geschichte. Der arme Kerl, nicht nur wegen der kalten Temperaturen-auch die Kälte des "NICHT GESEHEN WERDENS". Schön, dass du ihm hier einen Rahmen gibst. Auch wenn er das natürlich nicht weiß.
AntwortenLöschenViele Grüße und Dankeschön für deinen Besuch auf meinem Blog
Jo
"(...) und niemand hatte Notiz von ihm genommen." ..... außer dir :) Sehr schön!
AntwortenLöschenWarum war denn niemand da, der dem Sohn etwas Warmes zum Überziehen hätte geben können? Das hätte auch ne Lungenentzündung werden können - kopfschüttel.
AntwortenLöschenLG Berta