D-Day und Rurfront – eigentlich hatte ich mir vorgenommen, den zweiten
Weltkrieg in meinen Blogs vorläufig beiseite zu schieben. Doch ich erinnerte mich an eine
ARD-Dokumentation, die ich 2005 oder 2006 im Fernsehen gesehen hatte. Es ging
um Fußball: Ukraine gegen Deutschland. Das passte zur Fußball-EM – die neben
Polen in der Ukraine stattfindet. Und die Ukraine und Deutschland – beide
Mannschaften nehmen an der Fußball-EM teil.
1942. Die deutschen Truppen waren ein Jahr zuvor in der
Ukraine einmarschiert. Wie anderswo im Deutschen Reich, setzten sie ihren
Vernichtungsfeldzug gegen die jüdische Rasse fort. Neue Größenordnungen der
Barbarei wurden erreicht, als in Babij Jar in der Nähe von Kiew an zwei Tagen
33.000 (!!!!) Juden ermordet wurden. 1942 war die Schlacht von Stalingrad entschieden,
und die Rote Armee war noch so tief im russischen Territorium entfernt, dass die
Ukraine Teil des Deutschen Reiches war.
Wie sonstwo im Deutschen Reich, suchte man nach Zerstreuung.
Ein bisschen Normalität wollte man im Krieg erleben. Was gab es außer Filmen,
Theater, Musik ? Fußball. Die deutschen Besatzer entschieden sich, im Zenith-Stadion
in Kiew ein Fußballturnier zu organisieren. Ein absolut zynisches Vorhaben –
bei all dem Leid und all den Toten, die der Krieg mit sich brachte.
Fünf Mannschaften nahmen an dem Fußballturnier teil. Nach
der Vorrunde standen sich die Endspielgegner gegenüber: eine Werkself aus Kiew
– das waren Arbeiter einer Brotfabrik – gegen deutsche Soldaten – das waren
Flakhelfer. FC Start gegen Flakelf. Oder im Großen: Ukraine gegen
Deutschland. Erst beim Aufeinandertreffen bemerkten die Deutschen, dass die
Mannschaft des FC Start gewiefte Fußball-Profis waren – so würde man im heutigen Jargon sagen. Zu Kriegszeiten waren nämlich die großen Vereine Dynamo Kiew und
FC Lokomotive aufgelöst worden, und acht Top-Fußballspieler fanden sich in der
Brotfabrik wieder. Die deutsche Mannschaft rekrutierte sich aus einfachen Soldaten – die
fußballerisch keinem Top-Verein zugehörten.
Das Endspiel wurde als Hin- und Rückspiel ausgetragen. Im
Hinspiel kassierte das deutsche Team eine Schlappe und ging mit 1:5 unter. Am 9.
August 1942 wurde das Rückspiel ausgetragen.
Schon vor dem Anpfiff war die Spannung wie elektrisiert. In
der Weltanschauung des Nationalsozialismus war die arische Rasse den slawischen
Völkern weit überlegen. Russen – auch Ukrainer – waren minderwertig, schwach, ihre
Menschenwürde wurde mit Tieren gleichgesetzt. Ein Sieg der Ukraine passte da
überhaupt nicht ins Bild. Was würde passieren, wenn die Ukraine gewinnen würde
?
Die Ränge im Stadion waren mit mehr als 10.000 Zuschauern überfüllt.
Das Interesse an dem Spiel war in Kiew riesengroß. „Schlagt die Deutschen“ feuerten
die Zuschauer mehrdeutig von der Tribüne die ukrainischen Spieler an. Ruppig,
hart und mit vielen Fouls ging es in diesem Spiel zu. Ein SS-Mann, der viele Fouls
der Deutschen nicht ahndete, war Schiedsrichter. Bereits zur Halbzeit führte
die Ukraine mit 3:1. Am Spielende hieß es 5:3 für die Ukraine. Die Demütigung
für die überlegene arische Rasse war perfekt. Der Jubel der ukrainischen
Spieler war verhalten. Angesichts der übermächtigen Besatzungsmacht wussten sie
nicht so richtig, ob sie sich über den Sieg freuen sollten.
Wenige Tage später geschah dann das, was alle befürchtet
hatten. SS-Männer tauchten in der Brotfabrik auf und verhafteten acht Spieler.
Sie wurden in Gefängnisse inhaftiert oder in Konzentrationslager gebracht. Vier
von ihnen wurden gefoltert und später erschossen.
Im Kalten Krieg wurde das Todesspiel – wie es in der damaligen
Sowjetunion genannt wurde - ideologisch ausgeschlachtet. Was für Deutschland das
Wunder von Bern war, war fortab für die Sowjetunion das Wunder von Kiew.
Der Mythos wurde zum Streitobjekt zwischen Deutschland und
der Sowjetunion – später Russland. Das Fußballspiel wurde 1963 in der
Sowjetunion verfilmt – wobei ein Zusammenhang zwischen dem Sieg der
ukrainischen Spieler und der Verhaftung bis heute nie nachgewiesen werden
konnte. Auch in diesem Jahr kam im März ein Film über dieses Spiel in die
russischen Kinos. Dabei wurde die Handlung dahingehend abgeändert, dass direkt
nach dem Schlusspfiff die ukrainischen Spieler von der SS verhaftet wurden.
Diese Version ist definitiv falsch.
Tragisch ist diese Geschichte ohnehin. Sie geht um Größenordnungen
über das hinaus, was Hooligans heutzutage anrichten. Ereignisse wie bei dem
Skandalspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC Berlin - Bengalische
Feuer und auf das Spielfeld stürmende Fußballfans – sind demgegenüber
harmlos. 2005 hat ein russischer Historiker aufs Neue die Fakten aufgearbeitet
und versucht, ideologische Verdrehungen gerade zu rücken. Doch der Mythos lebt
in der Köpfen von Russen und Ukrainern fort.
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