Um eine Handvoll Marshmallows
hatten sich die beiden Männer gezankt. Rücken an Rücken, belauerten sie sich nun
vor dem Saloon der Westernstadt. Beide wollten Satisfaktion – durch ein Duell.
Der eine zückte seine schwarze Weste zurecht. Der
andere, der wie ein Ganove aussah, blickte grimmig und entschlossen unter seinem
braunen Schlapphut. „Düll“ – ein „ü“ anstelle des
„ue“, mit dieser eigenwilligen Wortschöpfung war
zuvor die umstehende Menge zum Lachen gebracht worden. Alles wartete,
Hochspannung, und um das Geschehen auf die Spitze zu treiben, war der
Leichenwagen war bereits vorgefahren. Doch jedes Mal, wenn man meinte, das Duell
käme zur Ausführung, brachen die beiden ab. Zunächst
wurde aus dem Publikum eine Leichen-Vermesserin gebraucht. Viviane, eine
hochgewachsene Frau, übernahm diesen Job, und mit Messlatte vermaß sie den Mann,
der wie einen Ganove aussah und der offensichtlich als Verlierer feststand: er
passte genau in den Leichenwagen hinein. Dann musste eine Zeugin aus der
umstehenden Menge rekrutiert werden, die sofort beruhigt wurde, denn eigentlich
bräuchte sie gar nichts zu machen. Das änderte sich schlagartig, denn dem
Duellierenden mit der schwarzen West fiel ein, dass er an einem wichtigen
Geschäftstermin teilnehmen musste und verschwand auf der Stelle. An seiner
Stelle durfte nun die Zeugin stellvertretend an dem Duell teilnehmen. Zehn
Schritte abzählen, umdrehen, und die Zeugin zeigte prompt Nerven und rang mit
sich, den Abzug zu finden. Es machte Peng, ein Schuß,
und der Ganove fiel geradlinig in den Sarg hinein.
Karl-May-Festspiele in Elspe im
Sauerland. Wenn man nach Ritualen in unserer Familie sucht, die ein gewisse Feierlichkeit ausstrahlen und voller Spannung
sind, dann sind es diese Karl-May-Festspiele. Sie nennen sich auch Elspe Festival: diese Beschreibung ist umfassender, denn
neben Karl May werden auch Country Festivals
veranstaltet oder zur Weihnachtszeit kann man bei einem ausgiebigen Dinner schlemmern.
Karl May – komplett mit 30 Bänden findet sich sein Werk in
unserem Wohnzimmerschrank wieder, und komplett mit 30 Bänden hat meine Frau
dieses Werk gelesen. Im Gegensatz zu mir, denn ich habe eher spärlich
herumgeblättert, nur „Der Schatz im Silbersee“ habe ich gelesen. Ich erinnere
mich noch an die Figur des Colonel, ein mit allen Wassern gewaschener Verbrecher,
der alle gegeneinander ausspielt und bei dem Geld und Schatz und Reichtum das
Ziel allen Strebens sind.
Von den Ursprüngen im Roman, wie sich Geschehen, Handlung und
Personen aufbauen, ist man hier in Elspe ungefähr so
weit entfernt wie das Rheinland vom Südpol – genauso wie in der Verfilmungen mit
Lex Barker, Stewart Granger oder Pierre Brice, die
mich als Jugendlicher ganz tief berührt haben. Winnetou I wurde in diesem Jahr
aufgeführt – wenn man die Handlung betrachtet, hätte es genauso „Der Schatz im
Silbersee“ oder „Der Ölprinz“ sein können. Der rote Faden der Handlung ähnelt
sich von Jahr zu Jahr: der weiße Mann ist der böse Kapitalist, der eine
Eisenbahnlinie durch das Gelände der Indianer bauen will. Der böse Kapitalist
giert nach Geld und Schatz und Reichtum – und tötet in seiner
Rücksichtslosigkeit Indianer. Der gute Winnetou und der gute Old Shatterhand
versuchen, den Konflikt zwischen Weißen und Indianern zu schlichten und geraten
zwischen die Fronten: die Indianer glauben, dass sie Partei für die Weißen
ergreifen, und eine Art Gottesurteil – ein Kampf zwischen Winnetou und dem
Ober-Indianer-Häuptling – entscheidet. Natürlich gewinnt der gute Winnetou
diesen Kampf und nun werden die weißen Verbrecher verfolgt. Sie werden gefunden
– mit ganz viel Rauch und Feuer und Explosion stürzen sie in eine Schlucht, in
die sich ein Wasserfall ergießt.
Wenn nur die Handlung einfallslos kopiert würde, wären wir
sicherlich nicht Jahr für Jahr über einen solch langen Zeitraum wiedergekehrt.
Das besondere Erlebnis ist die Freilichtbühne. Im Freien ist Platz, die Handlung
kann sich ausdehnen. Tische und Stühle geben ein gemütliches Plätzchen ab vor
der Westernstadt. Die Beine lang auf den Tisch ausgebreitet, lassen sich die
Bewohner der Westernstadt von der Sonne bescheinen, bis die Banditen aufkreuzen,
die dann nach einer wilden Schießerei wieder verjagt werden. Zelte und Tipis beherbergen Indianer, jung und alt, große und kleine
Kinder, Mamas und Papas, Omas und Opas. Der senkrechte Felsen, der sich
heldenhaft aufbäumt, ist der Ort der Explosionen, der die Verbrecher vernichtet.
Wie bei einem Urknall schießt das Feuer in die Höhe, begleitet von Rauchsäulen,
die dunkel und schwarz sind wie die Nacht. Hinter dem steilen Hang kommen zuvor
die Verbrecher aus dem Hinterhalt angerückt, um hinterrücks an all das Geld und
den Schatz und den Reichtum heran zu kommen. Mitten hindurch rückt auf Schienen
die Eisenbahn heran, qualmend, schwerfällig, keuchend, pechschwarz wie die
Kohlen im Tender. Pfeilschnell, sind da noch all die Pferde, die hin und her
quer über die Bühne huschen, Indianer verfolgen Verbrecher – oder umgekehrt.
Dabei gerieten wir immer wieder ins Schmunzeln: wenn die spanische Senorita mit ihrer Bratpfanne entscheidend in die Schlägerei
eingriff und die Feinde niederstreckte; als der Sheriff eine Ladung Dynamit ins
Haus zurücktransportierte, weil er glaubte, sie sei neben den Einsenbahnschienen
vergessen worden – dabei übersah er die brennende Zündschnur; das Lachen von Sam
Hawkins:“ wenn ich mich nicht irre … hihihihi“, das in
Phasen des Schweigens oder bei Sätzen, die zusammenhanglos daher schwebten,
einen Humor der absonderlichen Art erzeugte.
Überall sahen wir Familien mit Kindern – die über ihre
Erlebnisse in den Jahren und Vorvorjahren erzählten. Familien mit Anhang
drängten sich auf dem engen Gelände zusammen, das in der Topografie des
Sauerlands mittelgebirgshaft anstieg und an den
flachen Stellen mit Imbissen und der Westernstadt einlud. Far West, mit seinen
Häusern aus derbem Holz war der Wilde Westen originalgetreu verpackt, und im
Saloon in der Westernstadt trat man ein in dieses dicht gestaffelte Holz: mit
den blanken Holztischen, der hölzernen Wandverkleidung und den Leuchtern aus
schwerem Eichenholz wurde man geradezu durchdrungen von einer Cowboystimmung.
Wie im Fernsehen, konnten Familien mit Kindern durch das
Rahmenprogramm zappen. Bespaßung – ab ging es in die Pferdeshow. In diesem Jahr
wurde so eine Art Pferderennen veranstaltet. Rote Tonnen mit dem Werbeschriftzug
von Coca-Cola hatten ein Dreieck abgesteckt, in dem geritten werden musste,
wobei einmal die Tonnen umkreist werden mussten. In möglichst kurzer Zeit und
fehlerfrei musste dies geschehen – ohne dass die Tonne umfiel und ohne dass der
Cowboyhut fliegen ging. Die Mannschaften der Ukulalas
und der Cannons spielten gegeneinander – dabei war die
Anspielung auf Fußball-Mannschaften eindeutig. Zwei Männer und eine Frau mussten
jeweils nacheinander diesen Geschicklichkeitsritt bewältigen, dies in einer Hin-
und Rückrunde und in einem Finale. Zum Schluß konnten
sich die Sieger von den stehenden Ovationen der Besucher bejubeln lassen. Im
Lauf der Jahre hatten sich die Veranstalter bei dieser Pferdeshow immer etwas
Neues einfallen gelassen – Pferde wurden auf Szenen im Feuer dressiert, Pferde
ritten in Action-Szenen mit jede Menge Schlägereien, Pferde vollzogen mit der
Eleganz von Balletttänzern Dressur-ähnliche Ritte, Pferde ließen sich auf ihren
Rücken mit artistischen Kunststücken ihrer Reiter verzaubern. Bespaßung – zum
Rahmenprogramm gehörte noch eine Musik-Show. Ordentlich zur Sache ging es in
einer Action-Show, in der ein Dorf-Sheriff und sein Deputy gegen Banditen zu kämpfen hatte.
Für unseren Sohn war es in diesem Jahr wahrscheinlich das
letzte Mal, denn er nörgelte herum und verfolgte desinteressiert das Geschehen.
Lustlos trottete er hinterher. Am liebsten wäre er wahrscheinlich gleich wieder
umgekehrt und nach Hause zurück gefahren. Wir hätten sicherlich nichts dagegen
einzuwenden gehabt, wenn er sich anstatt dessen im Vergnügungspark auf
Achterbahnen ausgetobt hätte oder sich im Kino mit Action-Szenen hätte
berieseln lassen.
Die Schauspieler standen noch auf der Bühne und ließen sich
vom Publikum feiern, da zog es die ersten Besucher zum Ausgang hinaus. Die
Verabschiedung dauerte schier endlos, als Winnetou, Old Shatterhand, Sam Hawkins
und andere Schauspieler jeweils einzeln nach vorne traten, sich auf ihrem Pferd
verbeugten, ins Publikum lächelten, zuwinkten und zurücktraten, bis der nächste
an der Reihe war. Der Beifall bauschte sich auf, Wellen der Begeisterung
strömten den Schauspielern entgegen, die bunt kostümiert in Reih und Glied
standen. Dann flaute der Beifall ab, bis der nächste Darsteller sich mit seinem
Pferd dem Publikum zuwandte.
Unser Sohn drängte zum Ausgang. Er hatte Recht, denn die
Autoschlange war dabei sich zu formieren. Etwas später würden wir im Stau
stecken und auf den Parkplätzen fest hängen bleiben. Danach lagen noch zwei
Stunden Autofahrt vor uns. Und unser kleines Mädchen musste am nächsten Tag in
die Schule.
Dein post, Dieter, weckt Erinnerungen......Jeder Karl May Film, der im Kino lief, wurde besucht, geheult in Winnetou Teil III, die Bücher regelrecht verschlungen. Pierre Brice ein unvergessener Winnetou, genauso wie Lex Barker als Old Shatterhand. Beide waren halt die Originale, die durch keine anderen Schauspieler wirklich zu ersetzen waren. Zumindest empfand ich das immer so.
AntwortenLöschenAber ich habe in Bad Segeberg auch mal die Karl May - Festspiele besucht und fühlte mich richtig in den Wilden Westen versetzt.
Das Rahmenprogramm drumherum, genauso, wie du es schilderst, war einfach Abenteuer pur.
Bestimmt war dieser Ausflug für euch ein wunderschöner Tag, der euch allen noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Liebe Grüße
Christa
Hej Dieter,
AntwortenLöschenmein erster Urlaub mit den Eltern an der Ostsee,- Bad Segeberg und ich weiß noch wie ich vor Spannung mein Taschentuch in der Hand drehte. Wenn ich mich recht erinnere war Pierre Brice damals als Gast-Schauspieler engagiert. Tolle Geschichte.
LG
Beate
Toller Bericht, was du da schreibst und die Bilder .. warum gehst du unter der Woche und nicht am Wochenende oder in der Ferienzeit dort hin .. es wäre für deine Kleine doch viel besser gewesen!
AntwortenLöschenLieben Gruss Elke
Als kleiner Bengel habe ich die Bücher förmlich gefressen :-) Vor kurzem habe ich Old Surehand als Gratis-Exemplar auf dem Kindle gelesen und hey, aus der Erwachsenen-Sicht kann ich überhaupt nicht mehr nachvollziehen was mich damals so fasziniert hat, schade eigentlich.
AntwortenLöschenIch war vor ein paar Jahren mal bei den Karl May Festspielen in Bad Segeberg, war interessant, nicht mehr aber auch nicht weniger.
Dein Bericht ist gut geschrieben, hat Spaß gemacht zu lesen
VG
Micha