Müll war schon immer dubios, undurchsichtig,
skandalträchtig. So schmierte der Müllunternehmer Trienekens in den 90er Jahren
Mitglieder des Kölner Rats, um den Bau der Müllverbrennungsanlage in Köln-Niehl
durchzusetzen. Damals wurde demonstriert, Bürger und Grüne gingen vor die
Barrikaden, verunsichert durch erhöhte Dioxinbelastungen. In den 90er
Jahren herrschte Aufbruchstimmung: mit Müll konnte Geld verdient werden, die
Filteranlagen wurden aufgerüstet, die Bürger finanzierten dies über ihre
Abfallgebühren, Trienekens wurde zum Multimillionär. Bis seine Geschäftspraktiken
aufflogen: er und die Mitglieder des Kölner Rats wurden zu Haftstrafen auf
Bewährung verurteilt, er musste eine Geldstrafe von 10 Millionen Euro zahlen,
außerdem hatte er Steuern hinterzogen.
Dubios und skandalträchtig, diese Grundstimmung herrscht
derzeit rund um die Bonner Müllverbrennungsanlage. Diesmal geht um etwas viel
einfacheres als Bestechung oder Steuerhinterziehung – nämlich den Anstrich.
Fahrt zur Bonner Müllverbrennungsanlage. Aus einer Sackgasse
kommend, biegt sich die Straße platt um das Werksgelände eines
Energieanlagenbauers. Dahinter haben ein Eros-Center und die Rotlichtszene Fuß
gefasst. Industriebrache: der ins Alter gekommene Schlachthof gegenüber wurde Ende
letzten Jahres geschlossen, weil es an Hygiene und Brandschutz haperte. Seitdem
gammeln die Gebäude im Barackenstil vor sich hin. Auf dem Gewerbe- und Gründungszentrum,
das der Verlassenheit wieder Leben einhauchen soll, wird man neuansässige
Firmen vergeblich suchen.
Die Ausmaße der Müllverbrennungsanlage sind gigantisch. Mit
dem Rohrsystem, das über die Straße hinweg führt, sich gabelt, sich verzweigt,
in Fabrikgebäude führt, in die Höhe kragende Kessel speist, erinnert mich die
Anlage an Stahlwerke oder an Anlagen der chemischen Industrie.
Eher unspektakulär zeichnet das eigentliche Streitobjekt die
Müllverbrennungsanlage. Grün, orange, grau, die Farbkomposition passt
augenscheinlich zusammen. Die Abstufungen fallen mir noch auf: helle Streifen
wechseln mit dunklen ab, und ich denke an Bekleidung, wo solche Streifenmuster
bieder wirken, abgetragen und fernab der aktuellen Modetrends.
Die Müllverbrennungsanlage soll ausgebaut werden, und mit
dem Anstrich hat sich ein Farbphilosoph verewigt. Erstaunt hatte ich
registriert, dass es so etwas gibt: einen Farbphilosophen. Eigentlich eine
merkwürdige Kombination - Müllverbrennungsanlage und Farbphilosophie.
Friedrich Ernst von Garnier, der Farbphilosoph, hat ab den
70er Jahren über siebzig Gebäude in einem ähnlichen Farbstil angestrichen – wie
in der Bonner Müllverbrennungsanlage. Von ihm stammen Weisheiten wie „Ohne
lebendige Farbigkeit kann sich kein Geist entzünden“ oder „Organische
Farbigkeiten sind die natürliche Basis allen farbigen Bauens … dies ist der
erste lebendige Weg der Erde zu ihrem ganz realen Farbenbild“. Weltweite
Auszeichnungen hat Garnier angesammelt – 1985 in den USA den Product Award oder
1999 den European Steel Design Award.
Wenn die Müllverbrennungsanlage ausgebaut wird, muss die Außenfassade
natürlich gestrichen werden. Die Planer und die Stadtwerke möchte die Fassade
gerne so anstreichen, wie es ihnen gefällt. Doch Garnier hat etwas dagegen und
begründet dies mit dem Urheberrecht: die Gestaltung des Anstrichs ist Werk von
Garnier. Der Anstrich des Erweiterungsbaus muss sich anpassen und seine
künstlerische Handschrift tragen. Abgestuft in Streifen, sich anlehnend an die
Grundfarben Grün, Orange und Grau, gegen anderweitige Farbgestaltungen setzt er
sich vehement zur Wehr. Der Auftrag möchte bitte an ihn gehen – wie alle
anderen Anstricharbeiten davor.
Damit könnten die Gerichtsinstanzen beschäftigt werden. Ein
Philosoph als knallharter Geschäftsmann. Präzedenzfälle gibt es einige – als in
den Säulen der Bundeskunsthalle Löcher gebohrt wurden oder das
Garten-architektonische Bild der Rheinaue verändert wurde.
Man könnte sich auch außergerichtlich einigen. Im Fall einer
Fassadengestaltung an einem Wohngebäude konnte ich im Internet eine
Entschädigungszahlung von mehreren Zehntausend Euro recherchieren, um diese
abweichend vom Urheberrecht gestalten zu können. Da ich kein Jurist bin, kann
ich diesen Fall rechtlich nicht beurteilen. Es könnte aber so kommen: Garnier lässt
nicht locker und pocht auf sein Urheberrecht. Die Stadtwerke und Garnier
verzichten darauf, ihre Differenzen vor Gericht auszutragen. Der Richter
entscheidet: nicht Garnier, sondern jemand anders darf anstreichen. Es ließe
sich also auch indirekt mit Müll Geld verdienen, und auch diesmal würde der
Bürger dies über seine Abfallgebühren finanzieren.
Ich beneide Garnier. Solch einen Job hätte ich gerne. Er
muss darauf verzichten zu arbeiten und erhält dafür mehrere Zehntausend Euro. Wenn
ich in seiner Haut stecken würde, diese Zeit würde ich genießen: nichts tun,
mich herum lümmeln, die Zeit verstreichen lassen, und dafür abkassieren.
So ungerecht kann die Welt sein !
Hej Dieter,
AntwortenLöschenein fantastischer Blick auf die Welt der Abfallwirtschaft!!!!! Sehr verlockend ist es, so viel Geld ohne einen Handstrich einzustreichen. Das Trügerische daran ist, Millionen machen nicht automatisch glücklich. Das hat das Leben dann doch sehr fair eingerichtet.
Wieviel zu wenig ist, entscheidet letztlich jeder für sich und schlimmstenfalls die Habsucht.
Toller Bericht,
Gruß Beate
Urheberrecht bei einem Farbanstrich einer Müllverbrennungsanlage ist ja klasse.
AntwortenLöschenKünstler müsste man sein.
Gruß
Noke
schiziphren
AntwortenLöschenErst mal meine Meinung zum Verbrennen von Müll. Wenn es richtig gemacht wird, die Schweizer haben ein gutes System, wo die Verbrennungsrückstände auch verwertet werden können, ist es besser als nach Nahost zu schicken oder im Lande Landstriche auf Jahrhunderte zu verschmutzen, selbst wenn alles zugedeckt wird, da ist es ja noch schlimmer.
Dann zum Geschäftemachen.Der Müll an sich hat wohl das Potential auf unrechtmäßige Art Geld zu drucken. Das war schon früher so, bei uns in der DDR, wo jedes Glas und jede Zeitung noch Bares brachte und fast alles der Wiederverwertung zugeführt wurde, waren die Schrotthändler zwar schmudelig, aber reich, nur sah man´s ihnen nicht an.
Grün ist eine schöne Farbe, sie beruhigt und hier soll sie sicher die Bürger beruhigen, also doch ein Fall für einen Philosoph.
Grüße Ulrike
PS: Du solltest mal ein Buch schreiben, wunderschön geschrieben
Ja,da hast du Recht. Das würde ich auch genießen.
AntwortenLöschenBesonders,weil ich grade alle Hände voll zu tun habe...
...unbezahlt natürlich;-)
LG Line
Wofür muss eigentlich ein Urheberrecht noch herhalten, kopfschüttel!
AntwortenLöschenMit Müll kann man doch richtig Geld machen. Inzwischen reißen sich doch die Gesellschaften um den Müll, um ihn zu verbrennen, wozu also noch trennen?
Eigentlich müssten die Müllgebühren für die Bürger sinken, denn die Verbrennungsanlagen stecken sich die Taschen voll, belasten aber nichtgerechtfertigterweise weiterhin die Kommunen mit horrenten Summen, eigentlich ein Skandal.
Es geht doch immer nur um eines: das liebe Geld
Dein Beitrag, Dieter, ist mal wieder klasse!
Noch zu deiner Frage der Scrap-Challenge auf meinem Blog. Nein, es ist keine Blog-Challenge, sondern ich nehme an Scrap-Challenges eines Grafk-Forums (photoshopdesign) teil.
LG Christa
wir haben gerade "Neues aus der Anstalt" im ZDF gesehen. Ich denke du könntest mit manchen deiner Beiträge gute Vorlagen liefern ;-)
AntwortenLöschenich fand deinen Text wieder sehr interessant.
lieber Gruß von Heidi-Trollspecht
Een bizar en interessant verhaal!
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