Wo war ich gelandet ? Vor Dom-Esch waren es noch 7 Kilometer
bis Euskirchen, einen Ort hinter Dom-Esch waren es auf einmal 9 Kilometer. Ich
stand in Weidesheim, rümpfte meine Nase. Nirgendwo war Euskirchen
ausgeschildert, daher musste ich fragen. Straße und Richtung zum
Fraunhofer-Institut in Euskirchen beschrieb mir die junge Mama mit dem Kinderwagen in der Hand. Mitten durch Weidesheim
gelangte ich prompt nach Kuchenheim – und nicht zum Fraunhofer-Institut. Euskirchen
wurde mir unheimlich, denn ich hatte mich total verfranst. Egal – die B56
führte über Kuchenheim nach Euskirchen. So lernte ich die Zuckerfabrik ganz aus
der Nähe kennen, dieser abstoßende Industriefleck, um den ich sonst einen
großen Bogen machte.
In Euskirchen tröpfelte der Regen fleißig vor sich hin. Spätestens
hier hatte ich gehofft, dass der Himmel aufreißen würde und die Regenwolken
verscheuchen würde. Davon war keine Spur zu erkennen. Ich fluchte auf den
Wetterbericht: dieser hatte gestern Nachmittag Regen und Gewitter vorhergesagt,
daher hatte ich die Tour auf heute verschoben – Regen und Gewitter blieben aber
aus. Heute hatte der Wetterbericht nach Osten abziehenden Regen gemeldet. Ich
fuhr in die entgegen gesetzte Richtung nach Westen – und Euskirchen war in eine
trübe Suppe eingetaucht, ein Spinnennetz von Regen. Mein Kurzarmtrikot hatte sich
voll Wasser gesogen und in meinen Turnschuhen stand das Wasser. Menschen, die
mich sahen, hielten mich bestimmt für verrückt.
Enzen und Schwerfen: hinter Euskirchen kannte sich mein
Orientierungssinn wieder aus. Der Regen legte eine Pause ein. In Wellen stieg
das Gelände an, doch der Weitblick blieb mir verwehrt, da sich der Dunst auf
den Höhen fest gekrallt hatte. Ich fuhr auf Nebenstraßen, auf denen sich kaum
ein Auto verirrte. In die Felder war eine bunte Mischung von Kornblumen,
Klatschmohn und Kamille eingedrungen. Das war beeindruckend.
Berg: dieses Dorf machte seinem Namen alle Ehre, denn es
ging steil bergauf. Mitten hinein in die Eifel. Der Berg bei Berg buckelte sich
in die Höhe, und Höhenmeter für Höhenmeter arbeitete ich mich vorwärts. Auf der
B265 angekommen, tauchte die Straße in ein dichtes Waldgebiet ein. Ganz düster
wurde es im Wald bei diesem trüben Wetter. Nebelschwaden bäumten sich auf, und
für eine Weile fühlte ich mich in den verbotenen Wald von Harry Potter hinein
versetzt.
Auf Hinweisschildern
las ich, dass dieses Stück Eifel den Status eines Nationalparks hatte. Die
Bewohner der Eifel hatten diese Seltenheit geschafft, denn Deutschland-weit gab
es lediglich 14 Nationalparks. Wandern auf vorgeschriebenen Wegen,
Einschränkungen bei der Holzwirtschaft, anderenorts regte sich heftiger
Widerstand gegen die Auszeichnung als Nationalpark – so auch bei uns im
Siebengebirge.
Die B265 verlangte mir alle Kräfte ab, denn bis auf 500
Metern ging es noch mehr in die Höhe. An der Abbiegung Richtung Mariawald war
es schließlich geschafft: mit 8% Gefälle stürzte die Straße nach Gemünd
hinunter. Wie gut, dass ich neue Bremsen auf dem Hinterrad montiert hatte. Das
war eine ärgerliche Abfahrt. Nichts zum Genießen, nur Abbremsen, Aufpassen,
Konzentration. Und der Regen hatte wieder eingesetzt und plätscherte in mein
Gesicht.
Einen Kaffee in Gemünd. Ohne Pause hatte ich rund 60 km
zurück gelegt. An meinem Stehtisch in der Bäckerei lauschte ich den Weisheiten,
die Damen älteren Semesters zum besten gaben. Dass die Zeit um so schneller
vergeht, wie älter man wird. Dass man meint, es sei gestern gewesen, dass man
das Baby in der Hand gehalten hat, das nun groß und erwachsen ist. Dass die
Zeit so manche Wunden heilt, wenn man sich schlimmes angetan hat. Und bei jedem
Regenschirm, den ich draußen vorbei schreiten sah, wuchs meine Depression. Ob man
mich in der Bäckerei in meiner Fahrradbekleidung in kurzer Hose und kurzen
Armeln bei strömendem Regen für verrückt hielt ?
Weiterradeln. Die Olef entlang, eben und flach schlängelte
sich der Radweg neben Straße und Fluß. Einen Moment glaubte ich sogar, helle
Stellen am Himmel zu entdecken. Wolken schoben sich beiseite, doch in Schleiden
zog es sich wieder zu. Tristesse allenthalben, und ich bog auf die B258
Richtung Monschau ein. Aus dem Tal heraus, kletterte die Straße unerbittlich
an. Zwei langgestreckte Kurven, dann wurde der Anstieg weniger bissig, meine
Kraftanstrengung normalisierte sich.
Harperscheid und Schöneseiffen, in meinem gleichmäßigen
Rhythmus musste ich in dem Vorort von Schleiden eine unfreiwillige Pause
einlegen: mein Hinterreifen war platt. Diesmal war ich gewappnet: einen
Reserveschlauch hatte ich in meinem Rucksack eingesteckt, und da bei Rennrädern
das Hinterrad einfach herausnehmbar ist, war die Reparatur im Handumdrehen
erledigt. Werkzeug einpacken, weiterradeln, wenigstens hatte Regen aufgehört. Die
unfreiwillige Pause hatte sogar etwas positives: da ich im Schneckentempo
unterwegs war, konnte ich anhalten und innehalten, um die kleine alte Kirche in
Schöneseiffen zu betrachten. Oft sind es nicht die großen Kathedralen oder
Dome, die Schönheit ausstrahlen, sondern die kleinen Kirchen. Das gedrungene
Gemäuer verriet ein hohes Alter, der weiße Anstrich wirkte grazil und
gleichzeitig lebendig. Die Eifel ist reich an solchen kleinen Schmuckstücken.
Eine der schönsten Abschnitte dieser Radtour versackte in
den Wolken. Bis auf 650 Meter stieg die Straße an. Ich konnte kaum bis zum Ende
der Straße sehen. Die Scheinwerfer der Autos tasteten sich durch die trübe
Masse. Diesen Fall hatte ich nicht vorgesehen, denn ich stellte erst jetzt
fest, dass meine Beleuchtung nicht funktionierte – wahrscheinlich war die
Batterie leer.
In Höfen, kurz vor Monschau, nahte die Erlösung. Zuerst
schälten sich die Windräder aus dem undurchdringlichen Wolkenschleier heraus. Die
Wolken zogen sich in größere Höhen zurück, so dass das Licht intensiver
eindrang. Es war befreiend, wie der Blick über die Eifelhöhen hinweg schweben
konnte. Ich genoß die Einzigartigkeit des Heckendorfs: über das ganze Dorf
hinweg verteilte sich ein Netz von Hecken, die Jahrhunderte alt waren. Auf der
Hochfläche fungierten die Hecken als Schutz gegen Wind und Wetter – einige
Hecken stammten aus dem 17. Jahrhundert.
Die Pause in Monschau hatte ich herbei gesehnt. Von Höfen
aus ging es bergab, denn Monschau war sorgsam eingebettet in das Tal der Rur.
Monschau ist ein Touristennest – und an schönen Wochenenden muss die Hölle los
sein, hatten uns Bekannte erzählt. Passend zur bildhübschen Altstadt begegnete
ich einem Ärgernis jeden Radfahrers: Kopfsteinpflaster. Ich schob, holperte über
das Kopfsteinpflaster, querte die Rur über eine Brücke,
suchte ein bequemes Plätzchen. Trappistenbier – Monschau und Aachen waren die
einzigen mir bekannten Städte in Deutschland, in denen man dieses süffige und
starke, mit Malz gebraute Bier aus Belgien trinken konnte. Hinter dem Roten
Haus – einem stolzen Bürgerhaus aus dem 18. Jahrhundert, mit dem sich die
Tuchfabrikanten in Monschau ein Denkmal gebaut hatten - wurde ich fündig:
zögernd und unschlüssig zeigte sich die Sonne, und draußen hockte ich mich auf
den freien Platz eines Lokals. LEFFE hieß die Biermarke mit einem Kirchturm im
Logo, aus dessen Abtei das Bier stammte. Ich lümmelte mich auf meinem Stuhl und
genoß die Braukunst aus einem belgischen Trappistenorden. Drei Trappistenbiere
und eine geschlagene Stunde dauerte meine Pause.
Die neue Kraft, die ich mit der Pause geschöpft hatte,
brauchte ich sogleich, denn mit 17% Steigung ging es aus dem Rurtal hinaus. Die
17% waren kurz und heftig. Quälen und scheuchen musste ich meine Beine. Die 17%
verflachten zunehmend, und in Imgenbroich näherte sich der Schwierigkeitsgrad
einem annehmbaren Niveau.
Roetgen: schurgerade und ohne Akzente stach das breite Band
der Straße eine Schneise in den Wald. Wenn ich nicht kurz vor meinem
Zieleinlauf in Aachen gestanden hätte und wenn die Straße nicht so schön
bergabwärts gerollt wäre, hätte ich die Eintönigkeit eines solchen
Straßenverlaufs gemieden. Belgien war so nahe, dass die Straße sogar eine
Kilometer durch Belgien verlief. Für Autofahrer huschte eine fiktive Grenze
vorbei. Für mich als Fahrradfahrer war diese Fiktion greifbarer – als
Ladenlokal. Wie anderenorts in Grenznähe, konnte man Kaffee im Überfluss
einkaufen. In Venlo hatten wir sogar erfahren, dass der Preisunterschied zu
Deutschland signifikant ist.
In Aachen war ich am Ziel meiner Träume. Ein kurzer
Abstecher zum Rathaus und zum Dom, dann zum Bahnhof mit dem Zug nach Hause
zurück. Abends war ich platt und konnte kaum noch auf den Beinen stehen. Meinen
Durst hatte ich gut gelöscht. Zum einen wirkten die Trappistenbier aus Monschau
nach. Dann hatte ich eine Ananas, die unangerührt zu Hause herum lag, fast
vollständig verschlungen. Mein Körper befand sich wieder im Gleichgewicht, und
später fiel ich regelrecht ins Bett hinein. Ich war erschlagen von soviel
Kilometern Fahrradfahrt.
Ooooooh, *stöhn* dieses Kornblumenfeld !!! ... *schmacht* *dahinschmelz* Soooo schön.
AntwortenLöschenGleich drei Biere - ich denke mal, das ist ein Maßstab für die zuvor erlittenen Anstrengungen. Dass du dir diese Pause in Monschau ersehnt hast, wundert mich nicht, lieber Dieter... :o)
AntwortenLöschenIch schick dir liebe rostrosigen Vor-Wochenend-Grüße!
Traude
Hallo Dieter, du hat meine absolute Bewunderung für deine Radtour, so viele Kilometer bei relativ schlechtem Wetter zurück legen, ist einen Applaus wert! Danke für deinen interessanten Bericht und die Fotos, für mich sehr interessant, weil ich noch nie in dieser Gegend war.
AntwortenLöschenAn solche Ausflüge erinnert man sich lebenslang, gerade weil das Wetter nicht so ideal war....die Biere hast du dir wirklich verdient :))
♥lichst Zaunwinde
Hallo Dieter,
AntwortenLöschenich bewundere dich für diese Tour bei DEM Wetter, wow!
Am Fraunhofer Institut gibt es nicht viel zu sehen, ungefähr so unspektakulär wie die Zuckerfabrik. rein kommt man nur am Tag der offenen Tür.
Ich war heute auch an den Blumenäckern zwischen Schwerfen und Enzen und habe ein paar Fotos gemacht, zwar ohne Regen, aber mit kräftigem Wind. Mal schauen ob sie heute noch online gehen, sonst morgen.
Bin schon auf deine nächsten radtouren gespannt.
Liebe Grüße Arti
Respekt, Dieter! So eine Strecke und dann noch bei Regen!
AntwortenLöschenIch war schon stolz auf meine 50 km am Sonntag bei Sonne (aber immerhin Gegenwind ;-) ).
VG
Elke
Da hast du ja wieder ein Wahnsinnstour gemacht, Dieter und das auch noch bei diesem nicht gerade tollem Wetter.
AntwortenLöschenDas Kornblumen-, Mohnfeld ist wundervoll.
Alle Achtung, dass du nach dieser Tour noch den Dom und das Rathaus besichtigt hast.
Liebe Grüße
Christa