Das war toll gemacht. Die Lichterketten schafften es, dass das Gebäude in seinen Umrissen erstrahlte. Das Restaurant Rheinaue war sechseckig, eingeschossig. Von einer Anhöhe aus, hatte man tagsüber einen phantastischen Ausblick auf den Park der Rheinaue mit dem Siebengebirge im Hintergrund. Von der Kuppel des Obergeschosses zog sich die flache Dachschräge hinunter, an dessen Ende die Dachvorsprünge weit über die Kante des Gebäudes hinaus ragten. Die Lichterketten spielten mit einem Baustil, der der chinesischen Architektur entnommen war. Essen konnte man dort nicht chinesisch, sondern deutsch – gut bürgerlich.
Lichterketten und Gebäude verschmolzen zu einem Ganzen: die Lichterketten schmiegten sich an den Wänden und schlossen das Dach mit einem Lichtkegel ab. Sie formten Struktur und Linien des Gebäudes und zerflossen mit dem Dachvorsprung zu einer Einheit. Ein imposantes Gesamtkunstwerk.
Ich war fasziniert, was die Vorweihnachtszeit hervorzauberte. Wie die Kreativität der Menschen beflügelt wurde, welcher Schaffensdrang in jedem von uns steckte und wie schön das Gesamtgebilde aussah. Und das noch schönere war, dass sich in der Vorweihnachtszeit sehr viele Stellen so präsentierten. Gleich reihenweise verzierten Weihnachtsdekorationen Hauseingänge, Fenster, Vorgärten, Reihenhäuser oder Einfamilienhäuser. Ob Weihnachtsmänner oder Schlitten, Rentiere oder Schwibbögen: überall leuchtete es, was das Zeug hält. Auch in unserer Straße, wo wir wohnten.
Ich dachte an dieses mulmige Gefühl zurück, welches mich beim Anzünden der ersten Adventskerze durchdrungen hatte. Es war nicht gewichen, denn für das Weihnachtsfest hatten wir längst noch nicht alles erledigt.
Doch dieses mulmige Gefühl relativierte sich, denn die schönen Seiten der Vorweihnachtszeit waren unübersehbar. Dieses mulmige Gefühl war präsent, aber in dem Bewusstsein, dass Stück für Stück alles angepackt und abgearbeitet wurde.
Ich konnte dazu übergehen, diese Lichterpracht zu genießen. Trotzdem fragte ich mich, wieso der Schaffensdrang des Menschen ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit einen solchen Impuls erfuhr. Ich hatte dieses eher griesgrämige Bild meiner Mitmenschen vor Augen: diese Herumjammerei; diese Perspektivlosigkeit; der mangelnde persönliche Einsatz; dieses zwanghafte Handeln, vor allem dieser Zwang zur produktiven Beschäftigung, ohne das Schöne zu sehen; der Rückzug ins Private gekoppelt mit der Unfähigkeit, aus sich herauszugehen. Jetzt wurde mit einem Mal ein Hebel umgelegt und eine Kehrtwendung vollzogen. Wie konnte das geschehen ?
In der Ferne dröhnte der Autoverkehr über die A562. Abgesehen vom hell erleuchteten Restaurant, dominierte in der Rheinaue die dunkle, schwarze Nacht. Keine Menschenseele spazierte über die Teerwege. Im Inneren des Restaurants langweilten sich die Kellner und schauten zum Fenster hinaus. Bestimmt würde sich das Restaurant bald füllen, bestimmt würde es bis Weihnachten ausgebucht sein mit lauter Weihnachtsfeiern.
Das Weihnachtsfest konnte kommen.
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