Es war eine der letzten Erledigungen vor Geschäftsschluss. Kurz vor 12 Uhr machte sich meine Frau an
Heiligabend auf dem Weg zu einem Modeladen im Zentrum unseres Ortes. Sie wollte
einer früheren Klassenkameradin, die Inhaberin des Modeladens ist, ein frohes
Weihnachtsfest wünschen. Das Schicksal hatte sie hart getroffen. Im Frühjahr
hatte sich ihr Mann von ihr getrennt. Im August war dann ihr Sohn im Alter von
28 Jahren tödlich verunglückt.
Unscheinbar dämmerte der
Modeladen im Schatten der Gebäudefront eines Imbisses vor sich her.
Kleiderständer vor dem Schaufenster signalisierten, dass der Modeladen noch
geöffnet war.
Im Laden kauerte zwischen
Ständern von Strickpullovern und Sweat-Shirts die ehemalige Klassenkameradin
meiner Frau: Manuela. Sie war dunkel gekleidet wie das Wetter. Das Regengebiet,
welches am Morgen durchgezogen war, war draußen nahtlos übergegangen in eine graue,
kompakte Wolkenmasse.
„Hallo Manuela“.
Dürr und bleich sah sie aus.
Regungslos begrüßte sie meine Frau. Ihre Gestalt war wie ausgemergelt und sie
hockte da wie ein Häufchen Elend.
Wie ihr Sohn verunglückt war,
war ominös. Er hatte in Essen studiert, als Hobby-Fotograf wollte er auf der
Zeche Zollverein Fotos machen. Der Unfall geschah beim Fotografieren, als er
etwa zehn Meter von einer Eisenbahnbrücke hinab gestürzt war. Mein
Schwiegervater kommt ursprünglich aus dem Ruhrgebiet und er kennt die Zeche
Zollverein. Wir konnten uns nicht erklären, wieso er beim Fotografieren auf eine
Eisenbahnbrücke klettern musste und wieso er eine solche gefährliche Stelle
nicht gemieden hatte.
„Frohe Weihnachten.“
„So lange ich im Laden bin,
geht es einigermaßen. Aber wenn ich zu Hause bin, das ist schrecklich …“
Sie erzählte, dass ihr Essrhythmus
und ihr Hungergefühl dauerhaft durcheinander geraten waren. Ihre Gedanken
kreisten umher und suchten nach Halt, den sie ein bisschen in ihrem Geschäft und
ein bisschen bei ihrer Tochter fand, die als Verkäuferin in einer Bäckerei
arbeitete und noch bei ihr wohnte. Sonst war es gespenstisch, wie ihre Gedanken
in einem Nichts herum stocherten, welches ein erloschenes Leben hinterlassen
hatte.
„Zuletzt bin ich 5 Uhr
Morgens aufgewacht. Das kannte ich gar nicht mehr, da hatte ich nämlich Hunger.
Mitten in der Nacht habe ich Brote geschmiert und drauflos gegessen.“
Eigentlich war sie als
End-Vierzigerin noch sehr hübsch und hatte ein Stück ihrer Jugend bewahrt. Ihr
schwarzes Haar fiel in Locken herunter und unterstrich ihre Weiblichkeit. Doch
die Sorgenfalten drückten. Ränder hatten sich tief unter die Augen gegraben. Hände
griffen verstört ins Leere.
„Wenn ich gleich nach Hause
komme, habe ich noch etwas zum Bügeln da. “
Sie rang nach Betätigung, um
diesem Nichts zu entrinnen. Meine Frau schwieg. Wie hätte sie denn ein Gespräch
in Gang bringen können ? Sie hatte schlichtweg Angst, dass sie etwas falsches
sagen könnte. Dass ein einziges falsches Wort Manuela gleich aus der Bahn
werfen könnte, dass alles herausplatzen würde und sie in Tränen ausbrechen
könnte. Die Situation war schlimm und grotesk, nicht helfen zu können,
allenfalls zusehen zu können, vielleicht durch die Anwesenheit ein bisschen Beistand
leisten zu können.
„Heute Abend bin ich mit
meiner Tochter bei meiner Mutter.“
Das war wenigstens ein Stückchen
Heiligabend. Gemeinsam mit ihrer Tochter, ihrer Mutter und möglicherweise auch
ihren Geschwistern.
„Und dann ?“
Am 1. und 2. Weihnachtstag
drohte der endgültige Zusammenbruch. Da war diese schreckliche Leere zu Hause, alles drohte in einen Abgrund zu stürzen. Niemand
war mehr da. Die Hoffnungslosigkeit wollte kein Ende nehmen. Wie sollte es
weiter gehen ?
„Frohe Weihnachten.“
Meine Frau musste wieder nach
Hause zurück. Der Abschied war kurz, Manuelas Arme klammerten sich verzweifelt an
meiner Frau. Den Tränen war sie nahe, doch sie riss sich zusammen, biss auf die
Zähne und irgendwie schaffte sie noch, ihre Haltung zu bewahren.
Hallo,
AntwortenLöschenoh wietraurig, ja, das Schiksal macht vor nichts und niemandem halt. Wir müssen es nehmen, wie es kommt und wenn es uns das Herz fast rausreißt.
LG
Barbara
Lieber Dieter,
AntwortenLöschenes ist alles sehr traurig.
Mutter, Tochter und Geschwister müssten sich
um die Frau kümmern.
Liebe Grüße
Elisabeth