Wahrscheinlich schleppte ich noch
einen Rest Müdigkeit mit mir herum. Vorsichtig schlüpfte mein Trekking-Rad an
der rot-weißen Absperrung vorbei. In der morgendlichen Frühe blickte ich gleichgültig vor mich hin. Noch ein wenig wie im Halbschlaf, zogen Bilder der
Monotonie an mir vorbei: rechterhand die Endlosreihen von parkenden
Blechkarossen, linkerhand das stabförmige Muster des Zauns, der zu einem
Kindergarten gehörte.
Meine Augen suchten, tasteten
sich vorwärts. Zwei andere Fahrradfahrer, dessen Konturen verschwammen, fuhren
knapp an mir vorbei. Zuerst registrierte ich die beiden Fahrradhelme, die mit
dem lila Streifen in der Mitte und weißen Untergrund identisch aussahen. Dann
sah ich für den Zeitraum einiger Sekunden die beiden Gesichter vor mir: ergrautes Haar
legte sich über den Kopf des einen Gesichtes, das andere Gesicht dominierte die fette
Umrandung einer Hornbrille. Regungslos klammerte ich mich am Lenker meines Fahrrads
fest und fuhr weiter.
Sie stoppten an der
rot-weißen Absperrung. Wie durch einen Geistesblitz stoppte ich in demselben
Moment. Kennst du doch ? Hast du irgendwann mal gesehen ?
„Dieter !“
„B …. „
„B …..“
Es war die B-Familie. Die
Vornamen von Mutter, Vater und den beiden Söhnen begannen jeweils mit „B“. Der
letzte Besuch lag sage und schreibe 11 Jahre zurück. Zwischendurch war es still
geworden. Das letzte Telefonat lag mehrere Jahre zurück. Zufällig waren wir uns
einmal beim Einkaufen im Kaufhof begegnet, als unser kleines Mädchen noch im
Kinderwagen lag. Ich hatte eine e-Mail-Adresse, aber zum e-Mail-Schreiben war
ich nicht gekommen.
Ihre beiden Jungs gingen auf
die Gesamtschule. Ihr jüngerer Sohn war nun in die fünfte Klasse gekommen, so
dass sie gemeinsam mit ihm mit dem Fahrrad den Schulweg gefahren waren. Anschließend
fuhren sie mit dem Fahrrad zur Arbeit weiter, das war vielleicht fünf Minuten
von dieser Stelle entfernt.
Mit den nackten Füßen in den
Birkenstock-Sandalen und ihrer Funktionsbekleidung kam sie mir durchaus
sportlich vor. Im Keller unter den Büroräumen gäbe es sogar Duschen, erzählte
sie mir. Mit Stoffhose und Hemd, war er hell, freundlich, entsprechend den
sommerlichen Temperaturen gekleidet. Vor allem unter dem Kinn, war sein Gesicht
übersät mit Bartstoppeln. Abwägend, klar formulierend, artikulierten sich die
Worte in seiner Stimme.
Wie so viele andere Menschen,
litten sie unter chronischem Zeitmangel.
„Fast alle Wochenenden sind
wir unterwegs …
… zu seinen Eltern nach
Westfalen – Bad Oeynhausen
… zu meinen Eltern nach
Aachen … „
„Hat doch etwas positives,
wenn man sich im familiären Bereich gut versteht. Keine Missstimmungen. Keine
Verpflichtungen, die man als lästig empfindet“ entgegnete ich.
„Und in der Kirche –
Kommunionunterricht – sind wir noch aktiv.“
„Kein Bekanntenkreis ? “
mutmaßte ich.
„Praktisch nicht.“
Wir plauderten über dies und
das. Wie groß die Kinder geworden sind. Wie es beruflich aussieht. Übers
Fahrradfahren. Dass ich eine Blog-Seite habe. Dass sie keinen Bekanntenkreis
hatten, hatte sich in mir festgesetzt. Ich stocherte in mir herum, denn das
Familienleben war bei uns nicht in dieser Intensität ausgeprägt.
Aber ich wusste auch nicht, wie gesund oder alt oder krank ihre Eltern waren. Schließlich
verplapperten wir uns, so dass die Zeit dahin schmolz. Wir alle wollten
weiterradeln in unsere Büros.
„Dann stehen wahrscheinlich
die Aussichten, dass wir uns nach langer, langer Zeit persönlich sehen, eher
schlecht.“
„Brunchen …
… unser ältester Sohn meinte
zuletzt, wenn wir schon nie Zeit haben: zum Frühstücken nehmen wir uns die
Zeit. Und frühstücken ist gleich brunchen.“
„Wieso nicht ?“ stimmte ich
zu.
„Haben wir zuletzt gemacht.
Für 33 € in der Rheinaue …
… habe ich aber schon für 18
€ gesehen. Es geht auch preiswerter.“
„E-Mail-Adressen haben wir
ja. Dann können wir ja per e-Mail Terminvorschläge austauschen.“ beendete ich
das Gespräch.
Wieder auf dem Fahrrad
sitzend, durchdrang mich, was soeben geschehen war. Hinter der rot-weißen Absperrung
waren die beiden verschwunden, als der Radweg in einem Knick den Kastanienbäumen
gefolgt war. Schemenhaft fügten sich Erinnerungen in meinem Kopf zusammen. Von anderen
Freunden, die wir fünf, sechs, sieben Jahre nicht gesehen hatten. Sie
wiederzusehen, war ein Ritual gewesen, ein Festakt, an das es sich lohnte zurück
zu denken. Und von anderen Freunden, die wir aus den Augen verloren hatten. Der
Kontakt war eingeschlafen. Funkstille. Da war es uns nicht mehr die Mühe und
den Aufwand Wert gewesen, ihnen hinter her zu rennen.
Ich bin gespannt, was aus der
Idee des Brunchens wird.
Mein lieber Dieter
AntwortenLöschenFreundschaften wollen auch gepflegt werden....
Es ist so schade, wenn man immmer ein Telefonat oder einen Gruß verschiebt, dadurch sind schon die besten Freundschaften zerstört worden.
Es liegt nun in Euren Händen, macht war draus....
Einen schönen Nachmittag und liebe Grüße
Angelika
Es ist sehr mühsam und furchtbar schwierig, Freundschaften von einer Seite aus zu pflegen. Ich hatte mal so was. Immer (wirklich immer) ging die Kontaktaufnahme von mir aus. Ich organisierte Treffen, telefonierte, schrieb, besuchte sie - nie kam was von der anderen Seite. Also hab ich das irgendwann gelassen. Nach Jahren traf ich ihre Mutter bei einer Familienfeier meiner Eltern wieder und durfte mir vorwurfsvoll anhören, dass ich ja den Kontakt so sang- und klanglos abgebrochen hätte. Was willste machen? Kannste nur lächeln und sagen, dass das wohl eine Sache zwischen ihrer Tochter und mir sei und ich keinen in Sippenhaft nehme.
AntwortenLöschenFreundschaften wollen Aufmerksamkeit. Man muss selbst sehen, mit wem man die Mühe betreiben möchte - und alle sind einem selbst eben auch nicht wichtig genug. Das ist völlig legitim. Ich habe lieber wenige Freunde (vielleicht auch nur einen einzigen), kann mich aber 100 % drauf verlassen und bin auch im anderen Fall gerne für den da. So was hält dann ungeachtet von örtlichen und zeitlichen Entfernungen.
Grüße! N.
PS: Danke für den Gedankenanstoß. Es steht nämlich mal wieder eine größere Familienfeier an, da sollte ich einige Dinge vorher klären.
Hallo lieber Dieter, ich hoffe, jetzt gelingt es mir endlich, meinen Kommentar bei dir "abzusetzen" (haben andere heute auch Probleme damit oder liegt das an mir bzw. meinem Computer oder so???) ALso ich lebe ein bisschen nach der Idee, dass einen manche Menschen ein kürzeres, manche ein längeres Stück des Lebensweges hindurch begleiten - und einige wenige ganz besondere Menschen begleiten einen ein ganzes Leben lang (oder wenigstens durch die wichtigsten Jahre des Erwachsenenlebens :o)) Jemanden hinterherzurennen bringt sicher nichts, und ich denke, es ist auch durchaus wert, sich selbst zu fragen, ob einem "Bekannte von früher" menschlich wirklich (noch) wichtig genug sind, um diese Bekanntschaft weiter zu pflegen. Manches entpuppt sich bei näherer Betrachtung nur als Zweckgemeinschaft oder als Nostalgie: Zum Beispiel, weil die Kinder im selben Verein waren und man während des Wartens ganz gut miteinander plaudern konnte. Oder weil man früher mal irgendeine Gemeinsamkeit hatte, die inzwischen an Bedeutung verloren hat. Aus manchen Zweckgemeinschaften kann Freundschaft entstehen, weil da "mehr" Verbindendes ist, und manche verlieren sich wieder. Wenn es denn "mehr" ist, gilt das, was Angelika schon gesagt hat: Solche Freundschaften oder Bekanntschaften wollen dann auch gepflegt werden. Das ist wie bei Pflanzen, wenn man sie nicht pflegt, gehen sie ein. Wobei es gar nicht auf die Häufigkeit ankommt, sondern wie gut die oft zitierte "Chemie" stimmt. Bei deinen Posts fällt mir übrigens auf, dass du dich derzeit häufiger mit Gedanken beschäftigst, die in diese Richtung gehen - Thema Klassentreffen zum Beispiel. Blogger, die verschwinden, ohne etwas zu hinterlassen. Nun diese plötzlich wieder aufgetauchten Menschen von früher... Wäre vielleicht interessant für dich selbst, mal bei diesem Themenkreis noch weiter in die Tiefe zu gehen - was will ich wirklich, was macht einen Menschen für mich zu einem wichtigen Menschen etc.
AntwortenLöschenGanz liebe Grüße, Traude
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mir fallen beim Lesen auch so zufällige Begegnungen ein. Momente der Überraschung und Freude - und gleichzeitigem Erkennen, dass die Zeit eine andere geworden ist. Naja - ist natürlich nicht immer so.Lieber Wochenendgruß von Heidi-Trollspecht
AntwortenLöschenNicht mehr ganz jung an Jahren kann ich sagen: ich genieße meine alten Freundschaften sehr. Einige Freunde habe ich seit über 30 Jahren, wir hören und sehen uns selten aber da ist eine Verbundenheit, die möchte ich nicht missen. Wenn ich hier bei dir so lese, merke ich einmal wieder wie kostbar das ist und wie lieb ich meine Freunde hab. Was für ein Geschenk.
AntwortenLöschenHerzlichst ins Wochenende, Jo
und,... hast du schon gemailt und einen Termin vereinbart? Auf den jeweils Anderen warten bringt meistens nichts :)
AntwortenLöschenIch drücke dir die Daumen.
LG Arti
Tja, ich bin auch gespannt :-)
AntwortenLöschenFreundschaften wollen und müssen gepflegt werden, allerdings beidseitig und wenn dies nicht erfolgt, dann ist es die Mühe nicht wert, sie einseitig aufrecht erhalten zu wollen. Denn seien wir doch ehrlich, Zeit hin oder her, wenn man etwas wirklich möchte, dann findet sich ein Termin. Es kommt immer nur darauf an, wie wichtig einem etwas ist ;-)