Wo waren wir gelandet ? Das Ortsende von Freiburg-Kappel
hatten wir längst verlassen. An der Molzhofsiedlung gabelte sich die Straße.
Unsere Straße zwängte sich in einen schmalen Teerweg hinein, auf dem keine zwei
Autos mehr nebeneinander passten. Der Teerweg schlich den Berg hinauf in einen
Urzustand von Landschaft, die durch nichts gestört wurde. Wir folgten dem Bach,
der das Tal hinab plätscherte. Die Berghänge des Schwarzwaldes bauten sich auf
wie eine Wand. Ich hatte Angst, der Teerweg könnte untergehen in dieser Masse
von Grün, Natur, Wildheit, Temperament. Bis das Haus mit der Hausnummer 40
auftauchte.
Danach kam lange nichts, außer diesem steilen Anstieg, den unser
Auto gerade im zweiten Gang bewältigte. So ungefähr, als wir nicht mehr damit
rechneten, standen wir vor unserem Gasthof mit der Hausnummer 48. Von außen sah
er so aus, was ich typischerweise mit Schwarzwaldhäusern verband: ein breiter,
ausladender Baukörper, Elemente von dunklem Holz auf der Fassade, das weit
herabgezogene Dach, ein hölzerner Balkon, jede Menge Blumenkübel.
Viermal sollten wir hier übernachten. Kein Zweifel, ich war
gerne mitten in der Natur. Andere Gegenden wie die die Eifel schätze ich. Ruhe
und Verlassenheit konnte ich dort finden, pure Natur und lieblich zusammengescharte
Dörfer in dieser buckeligen Mittelgebirgslandschaft. Aber soviel davon ? In
einer solchen Überfülle ?
Ich gewöhnte mich kaum daran, dass ich hinter der
Zivilisation, die an den letzten Häusern von Freiburg-Kappel endete, noch ein
gehöriges Stück mit dem Auto durch die Gegend kurven musste. Auf 720 Metern
Höhe lag unser Gasthof. Schrecklich stellte ich mir vor, wenn der Hof in Winter
eingeschneit wäre. Ich war nie im Ski-Urlaub gewesen. Wenn ich andere davon
reden hörte, beschrieben sie in aller Romantik, wie sie eingeschneit waren.
Wenn es draußen knackig kalt war, heizte die Wärme im Inneren die Gemütlichkeit
an.
Aber es musste nicht gleich Schnee sein. Bange wurde mir zumute,
als es in der letzten Nacht schneeweiß gefroren war. Zu Hause kannte ich die
Gefahr des Glatteises, wenn sich an einigen tückischen Stellen regelmäßig Autos
im Straßengraben wiederfanden. Und hier ? Bei einer Abfahrt mit acht bis zehn
Prozent Gefälle ? Es passierte nichts. Die Reifen griffen auf dem Asphalt, und
heil kam ich in Freiburg-Kappel an.
Auch an den anderen Tagen war es lausig kalt auf 720 Metern
Höhe. Selbst drinnen, beim Frühstück, fror ich eine Zeit lang, weil der mit
Holz geheizte Ofen nur zögernd Wärme spendete. Während in Freiburg ein laues
Lüftchen wehte, pfiff hier der Wind. Der Bach hinter dem Haus war laut, weil er
mit all seiner urwüchsigen Kraft ins Tal stürzte. In einer Nacht trommelte der
Regen auf das Dachfenster, so dass ich nicht mehr einschlafen konnte. Das
schlimmste war: kein Handynetz. Der Gasthof lag in einem Funkloch. Mit unserem
großen Mädchen in Freiburg-Littenweiler konnten wir nichts absprechen. Am
Vortag nannten wir eine Uhrzeit, wann wir ungefähr aufkreuzen würden.
Die Zivilisation war eingekehrt, als wir Morgens ein gelbes
Postauto gesichtet hatten. Die Menschen bekamen also die Post zugestellt. Strom
gab es natürlich auch über die oberirdische Stromleitung, die sich von Mast zu
Mast schwang. Auch die Müllabfuhr schaffte es soweit, wobei ich mich fragte,
wie sie es in der Enge des Tals schaffte, zu wenden und umzukehren.
Unsere Gastgeber waren sehr, sehr nett. Es war ein Ehepaar,
beide ungefähr Mitte sechzig, die bis 2005 den Gasthof als Gaststätte betrieben
hatten. Sie hatten Spaß daran, sich mit uns zu unterhalten und aus ihrem Leben
zu erzählen. Einmal, als wir einen Schreibtisch zusammenbauten, als vorgebohrte
Löcher fehlten, konnten wir uns in der Werkstatt, die in einem eigenen Schuppen
untergebracht war, bedienen, wie wir wollten.
Beim Abschied wurde mir klar, dass ich in einer Welt
jenseits des Kapitalismus angekommen war. Wo nicht alles konsequent
durchgerechnet werden musste. Wo einen Kosten und Umsätze nicht durch die
Gegend trieben. Wo Geld nicht als das Maß aller Dinge betrachtet wurde.
Wir bezahlten genau den Preis, der auf der
Buchungsbestätigung im Internet stand. Obschon wir eine Person mehr waren.
Obschon ich an einem Abend eine Flasche Radler aus der Gaststätte getrunken
hatte. Obschon der Aufbau des Schreibtisches lahmgelegt worden wäre, wenn wir
die Löcher nicht hätten bohren können. Unsere Gastgeber lehnten es ab, dass wir selbst einen Cent mehr bezahlten.
Es gibt Dinge, die erschließen sich nicht beim ersten Mal. Man
muss genau hinsehen, damit umgehen lernen. Wenn man schließlich den versteckten
Charme kennen gelernt hat, bleibt dieser um so nachhaltiger haften.
nachhaltige Schwarzwaldtage - auch für mich beim Lesen :-)
AntwortenLöschenwieder toll geschrieben!
lieber Gruß von Heidi-Trollspecht
Herlich, in der Ruhe und ohne Handy würde ich gerne mal eine Woche dort verbringen. Die Natur geniessen und abschalten. Morgens bei Tagesanbruch den Sonnenaufgang und die Nebelwände bewundern.
AntwortenLöschenEinfach schön, weite ausgedehnte Spaziergänge machen und Zeit und Ruhe finden.
Liebe Nachmittagsgrüße
Angelika
"Wir bezahlten genau den Preis, der auf der Buchungsbestätigung im Internet stand. Obschon..."
AntwortenLöschenwarum dann nicht freiwillig ein wenig mehr? Das hätte sie bestimmt gefreut, da sie mit dem entlegenen Gasthof gewiss Schwierigkeiten haben, Gäste zu finden. Noch dazu mit Funkloch!
Mich würde so eine Einsamkeit immer nur anziehen und nicht abstossen. So finde ich dass man gerade dort seine Ruhe finden kann, natürlich nur wenn man möchte :-)
AntwortenLöschenDiese Herzlichkeit begegnet dir hier im Ort auch immer wieder, die Hilfsbereitschaft ist enorm. Natürlich nur wenn man sich natürlich gibt und selbst auch herzlich bleibt.
Liebe Grüssle
Mooi geschreven. Wat een mganefieke foto's.
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