Brügge im 16. Jahrhundert. Die Hansestadt in Flandern ist
der Ort des Geschehens, als ein Arzt nach 30 Jahren Reisetätigkeit an den Ort
seiner Jugend zurückkehrt. Brügge – eine der romantischsten Städte, die ich
kenne, hatte mich auf diesen Roman neugierig gemacht. Grachten, Kanäle, Häuser
aus rostbraunem Backstein, Treppengiebel – dies alles sollte ich in dem Roman
vermissen. Das war nicht schlimm, denn die Handlung wurde zum Monument.
Es war eine Neuheit für mich, einen historischen Roman zu
lesen. Literatur über Geschichte hatte ich vor längerer Zeit verschlungen –
Biografien oder Einzelthemen – Weltkriege, Aufklärung oder Römerzeit, aber noch
keinen historischen Roman.
Es hat sich gelohnt. „Die schwarze Flamme“ ist ein
gewaltiges Werk, in dem sowohl geschichtliche Ereignisse wie Persönlichkeiten
der Renaissance zusammengefügt werden. Hierdurch entsteht ein sehr dichtes Bild
der Renaissance – welche Weltanschauungen geherrscht haben, wie die Menschen
gelebt haben, welche Bewegungen quer durch Europa gegangen sind.
Dabei klingt es unglaublich, dass Yourcenar rund 40 Jahre an
diesem Roman geschrieben hat. Als sie Anfang 20 war, hatte sie einen Entwurf
von 40 Seiten geschrieben, der sich in dem ersten Teil wiederfindet. 1935
erschien eine Erzählung zu demselben Thema, die sie später in ihren Roman
integrierte. In den 50er Jahren fügte Yourcenar einzelne Kapitel des ersten
Teils hinzu. Sie vollendete ihren Roman zwischen 1962 und 1965. „Die schwarze
Flamme“ kann somit als eine Art Lebenswerk betrachtet werden, welches die
Autorin über viele Lebensabschnitte hinweg begleitet hat.
Marguerite Yourcenar (1903-1987) stammt ursprünglich aus
Brüssel. Mit Beginn des 2. Weltkrieges emigrierte sie in die USA, sie ließ sich
dort dauerhaft nieder und nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Neben
ihrer Tätigkeit am Lehrstuhl für französische Literatuwissenschaften in New
York veröffentlichte sie mehrere Romane, Erzählungen und Gedichte, wovon die
historischen Romane „Die Wölfin“ und „Die schwarze Flamme“ am bekanntesten
waren. Sie erhielt verschiedene Literaturpreise und wurde 1981 als erste Frau
in die „académie francaise“ aufgenommen.
Begegnungen ziehen sich als roter Faden durch den Roman. Zenon,
die Hauptfigur, begegnet wesentliche Persönlichkeiten des 15. Jahrhunderts, die
die maßgeblichen Einflüsse der Renaissance beschreiben. Zenon wird 1510 in Brügge
als uneheliches Kind geboren. Sein Vater, ein Amtsträger der Kirche, wird
einige Jahre später in Rom ermordet. Seine Mutter begeht den folgenschweren
Fehler, sich nach Münster zu begeben, wo sich die Stadt der
Reformationsbewegung nach dem Vorbild des Calvinismus in den Niederlanden geöffnet
hat. Diese Form des Protestantismus geht der deutschen Reformationsbewegung zu
weit. Daher dringen Truppen aus den umliegenden Fürstentümern in Münster ein
und begehen ein Massaker an der Bevölkerung. Dabei wird Zenons Mutter
hingerichtet. Aber bereits vorher – bei der calvinistischen
Reformationsbewegung – werden religiöse Exzesse beschrieben, dass
beispielsweise Menschen, die den Müßiggang pflegen und nichts tun, hingerichtet
werden, weil dies nicht der religiösen Weltanschauung entspricht.
Zenons Vetter ist Sohn eines Bankiergeschlechtes. Handel,
Kapital, Geldflüsse, Warenflüsse, Manufakturen blühen in der Renaissance auf.
Die Bankiers verkehren zwischen den Fürsten in illustren Kreisen, wobei ihr
geistiges Potenzial mittelmäßig ist und ausschließlich die Höhe des Geldkapitals entscheidend ist.
Zenon selbst sucht seinen eigenen Weg, unabhängig von seinen
Eltern. Schon als Jugendlicher zeigt er eine enorme Strebsamkeit nach Wissen, welches
ihm sein Onkel – der Dompropst in Brügge ist – vermittelt. Das ist vor allem
die Philosophie: diese Wissenschaft verleiht im die Basis seines Wissens, und
in der Renaissance koppeln sich eigenständige Disziplinen von der Philosophie
ab, namentlich die Naturwissenschaften und die Medizin. Zenon verkörpert eine
Dreiereinheit der Wissenschaften: Philosophie, Alchimie und Medizin.
Um seinen Wissensdurst zu stillen, geht Zenon auf
Wanderschaft – quer durch Europa. Fiktiv konstruiert oder historisch belegt –
so erzählt Yourcenar die Episoden während der Wanderschaft. Zenon stößt auf
Bankiers, er erlebt einen Aufstand in einer Weber-Manufaktur, wo man sich gegen die miserablen Arbeitsbedingungen wehrt, er durchlebt
die Pest. Die Pest hat ihn vielleicht am nachhaltigsten geprägt, denn er
versteht seinen Beruf als Arzt – er will anderen Menschen helfen, unabhängig
von deren Anschauung, Status, Beruf oder sonst was. Seine Reisen führen ihn bis
in den Orient hinein und fast bis ans Nordkap. Von sexuellen Ausschweifungen,
bei denen vor allem Geistliche ein schlechtes Bild abgeben, hält Zenon nicht
allzu viel – mit Ausnahme von Schweden, wo er seine wahre Liebe kennen lernte,
aber wegen der Wanderschaft wieder verlassen musste.
Als Philosoph, Alchimist und Arzt verfasst er Schriften, in
die die treibenden Kräfte der Renaissance einfliessen: ein Weltbild, das die
Naturwissenschaften neu begründet, Alchimie, um neue Materie aus bereits
vorhandener Materie zu schaffen, ein Katholizismus, dessen Gott-zentriertes
Weltbild revidiert werden muss. Das soll ihm später zum Verhängnis werden.
Nach 30jähriger Wanderschaft müde geworden, beschließt er,
in Brügge sesshaft zu werden. Dort ist er als Arzt in einem Hospiz tätig. Bis ihn
ein Vorfall den Boden unter den Füßen wegreisst: einem Protestanten, der
ansonsten verblutet wäre, rettet er in Brügge in den katholischen Niederlanden
durch seine ärztliche Hilfe das Leben. Zenon steht zu seinem Verhalten, und aus
seiner Umgebung erhält er Ratschläge, Brügge besser zu verlassen. Er ignoriert
diese Ratschläge, und gemeinsam mit seinen veröffentlichen Schriften, die
weithin bekannt sind, wird ihm der Prozess gemacht.
Flandern gehört im 16. Jahrhundert zu Spanien, das rege von
der Inquisition Gebrauch macht. In diesem Umfeld bergen die Schriften Zenons,
eine Unendlichkeit des Weltraums zu postulieren oder von einem geozentrischen
Weltbild auszugehen, ein inquisitorisches Potenzial. In dem Prozess muss Zenon
den kirchlichen Grundsätzen Rede und Antwort stehen. Zenon wird zum Tode
verurteilt, wobei er seiner Hinrichtung durch seinen Selbstmord zuvor kommt.
Yourcenar hat sich bei dem Prozess an Giordano Bruno angelehnt, der im Jahr 1600 wegen
seines gegenläufigen Weltbildes von der Kirche in Rom hingerichtet worden ist.
Als ich den Roman zu Ende gelesen hatte, war ich geradezu
hingerissen. Yourcenar ist es gelungen, die sehr vielschichtigen Einflüsse in
der Renaissance zu einem Ganzen zusammenzufügen. Ihre Sprache ist verständlich,
die einzelnen Episoden schildert sie kurzweilig, sie sind mitten aus dem
Alltagsleben in der Renaissance heraus gegriffen, der Leser muss kaum
geschichtliche Vorkenntnisse mitbringen, die Autorin bewegt sich auf Augenhöhe mit dem Leser. Bei der Komplexität des Themas ist
dies ein sehr großer Wurf. Zusammenfassend, war ich entsetzt darüber, wieviel Unheil die Religion den Menschen in Europa gebracht hatte.
„Die schwarze Flamme“ war 1968 veröffentlicht worden und
avancierte danach in Frankreich zum Bestseller. „L’oeuvre au noir“ – so hieß
der französische Originaltitel -, war sogar 1988 unter der Regie von André
Delvaux verfilmt worden – ich habe allerdings nicht rechercheiren könne, ob der Film ins Deutsche übersetzt worden ist.
Bislang gibt es bei mir einen Roman, den muss ich alle paar
Jahre lesen – das ist „Die Pest“ von Albert Camus. Nun kommt wahrscheinlich
Yourcenar mit „Die schwarze Flamme“ dazu.
Ik ben zeer blij dat het boek in je smaak gevallen is, Dieter. Het is inderdaad een zeer mooi, filosofisch geschraagd werk. Misschien zou ook Yourcenars "autobiografie" van keizer Hadrianus je bevallen? Mémoires d'Hadrien, oorspronkelijke titel.
AntwortenLöschenein gewaltiges Buch die Pest aber hoch intressant wie es damals zu ging .. intressant dein Posting mit diesem Buch schwarze Flammen doch das ist mir viel zu schwer zu lesen, früher habe ich so was gelesen.. mein eigenes inneres Buch war sehr schwer zu schreiben deswegen jetzt was leichteres flockiges!
AntwortenLöschenViel Spannende Momente beim Buch lesen!
Schöne Pfingsten wünsche ich dir!
Lieben Gruss Elke
Bei mir muss es momentan auch eher leicht und flockig sein.
LöschenWie ein Kurzurlaub vom Alltag,in dem man schnell eintauchen kann.
Hab hier noch einige Bücher,die auf Aufmerksamkeit warten...mal schauen wann ich dazu komme.
Herzliche Grüße und danke für diese tolle Buchbeschreibung,
Line
Vielen Dank Dieter, mich hast du inspiriert...beim nächsten Bücherladenbesuch stehen beide Bücher auf meiner Liste. Bei historischen Romanen bin ich immer vorsichtig...von diesen Büchern gibt es inzwischen ein Überangebot auf dem Markt oftmals mit etwas kitschiger Handlung....doch jetzt hast du mich mit deiner Beschreibung des Buches neugierig gemacht!
AntwortenLöschen♥lichst Zaunwinde