… haben wir in diesem Jahr das dritte Mal bei uns zu Hause gefeiert, seitdem wir in unser größeres Haus umgezogen sind. Udo, mein Schwager, ist geistig behindert, er wohnt in einem Wohnhaus für Behinderte, in der Behindertenwerkstatt montiert er Lampen.
Es war gegen 15 Uhr, als Udos Geburtstagsgäste hereintrotteten, einer nach dem anderen. Alleine oder zu mehreren wurden sie von ihren Eltern gebracht – wobei sich die Eltern abgesprochen hatten, wer wen mit welchem Auto mitnahm und wer wen zurückbringen würde. Im Flur begrüßten sie sich, im Wohnzimmer sammelten sie sich, wo Udo seine Geschenke auspacken durfte: eine große Kaffeetasse, einpackt in Klarsichtfolie mit Sternchenmuster, ein Duschgel mit Granatapfel-Extrakten, ein Deodorant, ein dunkelrotes Sweat-Shirt, Gutscheine und vieles mehr. Udo strahlte.
Seine Geburtstagsgäste, die Udo eingeladen hatte, kannten sich über verschiedene Behinderten-Treffen. Alle waren Mitte 40 und hatten sich über Jahrzehnte hinweg zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengeschlossen. Gegenseitig luden sie sich zu den Geburtstagen ein, einmal monatlich wurde gekegelt. Weitere Aktivitäten koordinierten die Kirchen – das waren unsere Kirchengemeinde und unsere Nachbar-Kirchengemeinde. Viele Ehrenamtliche halfen mit. Sie organisierten feste Behinderten-Kreise, Besichtigungen von Museen, Schiffstouren, Besuch der Karl-May-Festspiele, Ausflüge ins Phantasialand und vieles mehr ….
Seine Geburtstagsgäste, die Udo eingeladen hatte, kannten sich über verschiedene Behinderten-Treffen. Alle waren Mitte 40 und hatten sich über Jahrzehnte hinweg zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengeschlossen. Gegenseitig luden sie sich zu den Geburtstagen ein, einmal monatlich wurde gekegelt. Weitere Aktivitäten koordinierten die Kirchen – das waren unsere Kirchengemeinde und unsere Nachbar-Kirchengemeinde. Viele Ehrenamtliche halfen mit. Sie organisierten feste Behinderten-Kreise, Besichtigungen von Museen, Schiffstouren, Besuch der Karl-May-Festspiele, Ausflüge ins Phantasialand und vieles mehr ….
Das gemeinsame Kaffee-Trinken ging los. Mit einer blütenweißen Tischdecke gedeckt, an jedem Platz ein bemalter Nikolaus aus Holz mit einem Säckchen voll Süßigkeiten, bot unser Wintergarten ausreichend Platz für die insgesamt 9 Geburtstagsgäste.
Zögernde und schleppend entwickelte sich die Kommunikation, denn die Behinderung bremste mitunter das Ausdrucksvermögen und die Sprache. Sätze waren unvollständig oder abgehackt. Einige mussten mehrfach ansetzen, um einen Satz auszusprechen. Daher wurde viel ohne Worte kommuniziert. Blicke wanderten durch den Wintergarten und fanden sich zusammen. Manche tippten ihren Nachbarn an, dass sie dawaren. Gesichter lächelten und fühlten sich wohl. Und natürlich war der Käsekuchen und die anderen Kuchensorten bestens gelungen und Kaffee und Kakao schmeckten ebenso.
Der Gesprächsstoff, über den geredet wurde, ähnelte sich ohnehin. Heute Abend spielte der FC Bayern gegen Borussia Dortmund, das Topspiel der Fußball-Bundesliga. Konnten die Dortmunder die Bayern stoppen ? Mönchengladbach spielte gegen Bremen. Konnten die Gladbacher ihre Erfolgsserie fortsetzen ? Viele Geburtstagsgäste gingen fleißig ins Kino und waren mit den neuesten Filmen auf dem Laufenden. Fluch der Karibik lief heute Abend im Fernsehen, und viele freuten sich, diesen Kinofilm im Fernsehen schauen zu können.
Gegen 16 Uhr klingelte das Telefon. Das Wohnhaus am Deich, in dem außer Udo auch Linda wohnte, meldete sich. Linda saß dort bereits seit einer Stunde und wartete darauf abgeholt zu werden. Bei der Organisation, wer wen zu Udos Geburtstag mitnahm, war sie offensichtlich vergessen worden. Der Kommentar des Wohnhauses war: „Das muss wohl ein Missverständnis sein …“. Schnellstmöglich holte ich Linda und ärgerte mich, dass sich niemand im Wohnheim darum gekümmert hatte..
Wie ein solcher Geburtstag gestaltet werden konnte, dazu waren infolge des Grades der Behinderung die Möglichkeiten etwas eingeschränkt. Im letzten Jahr hatten wir eine Nachtwächterführung in Stadt Blankenberg organisiert. Das liegt etwa eine halbe Autostunden von uns entfernt und eine Bekannte von uns hatte die Nachtwächterin mit Hellebarde und Laterne gespielt und hatte alle im Dunkeln durch das mittelalterliche Städtchen geführt. In diesem Jahr war Udo zu lange unentschlossen, so dass ein DVD-Film-Nachmittag die einfachste Variante war. Udo hatte sich für Avatar entschieden.
Unser Wohnzimmer hatten wir zu einem Heimkino umfunktioniert. Voran der Flachbildschirm unseres Fernsehers, Udos Geburtstagsgäste gruppierten sich um Couch, Sessel und Einzelstühle, die in zwei Reihen aufgestellt waren. In der hintersten Reihe gesellte ich mich dazu. Sogleich legte Stefan los: „Avatar ist eine der besten Filme, die David Cameron gedreht hat“ kommentierte er. Avatar sei noch besser wie Titanic, was er auch gedreht hatte. „Auch Peter Jackson ist ein toller Regisseur“ fügte Stefan hinzu. Peter Jackson hatte King Kong gedreht. Stefan überraschte mich, dass er bei Kinofilmen Kenntnisse hatte, die meine eigenen bei weitem überragten. Stefan hatte Down-Syndrom und war gegenüber den anderen Behinderten ein Phänomen. Er las Zeitung, konnte lateinische Zaubersprüche aus Harry Potter korrekt wiedergeben, in der Behindertenwerkstatt hatte er einmal über 700 Meter Kabel ermittelt, die pro Tag zur Lampenmontage gebraucht wurden. Da fehlte nur ein winziges Quentchen, um ihn als „normal“ oder „nicht behindert“ einstufen zu können. Schade, dass er nicht mit den fortgeschrittenen Therapien unserer heutigen Zeit heranwuchs, denn mittlerweile schafften es sogar Behinderte mit Down-Syndrom zu studieren …
Der Film war vorbei, und in unserem Wintergarten wurden Frikadellen mit Nudel- und Kartoffelsalat aufgetischt. Alle ließen es sich ordentlich schmecken,. Udo und Andreas genossen dazu ein Weizenbier aus einem hohen, schlanken 0,5 Liter-Glas. Alle blickten naxch vorne auf die nächsten Feiern. Vor Weihnachten knubbelte sich alles. Weihnachtsfeiern gab es in den Behindertentreffs, in der Behindertenwerkstatt, im Kegelclub und im Behindertenwohnheim. Geburtstage kamen erst im März nächsten Jahres. Eine Adventsfahrt auf dem Schiff fand leider nicht statt, weil sich zu wenige Interessenten gefunden hatten.Udo grübelte herum, wie sich wohl die nächste Woche gestalten würde. Das Wohnheim hatte für ihn Urlaub angemeldet, weil sie Plätzchen backen wollten. Das war im letzten Jahr schon einmal so: Udo hatte auch eine Woche Urlaub, aber nur an einem Tag wurden Plätzchen gebacken. Die restlichen Tage saß Udo auf seinem Zimmer herum, ohne dass sich jemand aus dem Wohnheim um ihn gekümmert hätte. Würde dies in diesem Jahr wieder so verlaufen ?
Gegen 19.30 Uhr trudelten die ersten Eltern ein, um ihre Kinder abzuholen. Schade. Die Abschiede kleckern sich so dahin. Umarmungen beim Abschied. Die Gesichter strahlten und sie schwärmten von dem schönen Nachmittag. Sie freuten sich auf das gemeinsame Wiedersehen. Bei einer der zahlreichen Weihnachtsfeiern. Oder im nächsten Jahr beim nächsten Geburtstag.
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