Nein, sie wollten mich nicht hereinlassen. Gerne wäre ich den Weg hinab geschlendert, doch ein Traktor passierte die Hofmauer; Arbeiter beluden den Anhänger mit Herbstlaub und abgesägten Ästen. Ein Schild mit der Aufschrift „Durchfahrt verboten, Privatgelände“ signalisierte mir, dass ich stehen bleiben musste.
So konnte ich das Schloss Gudenau nur von der Ferne aus betrachten. Die Größe der Wasserburg war mit ihren vier Türmen imposant. Verdeckt durch Hecken, Mauern und dem hohen Dach eines einstöckigen Wohnhauses, konnte ich die Großzügigkeit der rückwärtigen Gartenanlage nur erahnen. Dort wäre aber Platz gewesen für barocke und geometrisch perfekte Gartenanlagen – ähnlich wie in Brühl oder in Benrath bei Düsseldorf.
Ich hatte Lust auf eine etwas längere Radtour, sozusagen zum Jahresausklang. Die Tage wurden zunehmend kürzer, dunkler und kälter. Und tief in den November hinein, wurde es entweder vom Büro aus oder von zu Hause aus schwieriger, solche zeitlichen Freiräume zu organisieren.
Eine weniger ambitionierte Tour mit nicht allzu vielen Höhenmetern hatte ich mir diesmal ausgewählt. Ein ordentlicher Anstieg von Pech nach Villip, knackig und kurz der Anstieg hinter Gudenau, dahinter öffnete sich der Blick über die Grafschaft bis ins Ahrtal hinein. Schräg herabhängend schien die Sonne an diesem spätherbstlichen Tag, und sie blendete so sehr, dass die entgegenkommenden Autos wie graue Mäuse im prallen Licht der Straße vorbeihuschten.
Die Grafschaft, das war ansonsten eine Ansammlung von Dörfern ohne nennenswerte Akzente, wenn ich mit dem Auto auf der A61 zwischen den Kreuzen Meckenheim und Bad Neuenahr dahinrauschte. Beim Fahrradfahren zeigte die Landschaft nun ihre Konturen: Ich hatte den Eindruck, dass die Dörfer fast nur aus Bauernhöfen bestanden. Manche luden zum Einkaufen ein, die Hofläden waren geöffnet, an den Toren lockten Äpfel oder Kürbisse. Wenn die Tore offenstanden, sah ich einen beachtlichen Maschinenpark – Traktor, Mähdrescher, Egge, Kartoffellegemaschine und vieles mehr. In der Grafschaft kamen nicht mehr allzu viele Höhenmeter zusammen. Das Gelände buckelte sich, Felder, Apfelbäume und Waldstücke wechselten sich ab, Ausblicke und Perspektiven veränderten sich ständig.
Gelsdorf: Vor dem Ort stapelten sich, fast so lang wie ein Sportplatz, die Zuckerrüben und warteten auf ihren Abtransport. Die Hauptstraße führte an der Kirche vorbei. Ich hielt an, und der Kirchturm erinnerte mit seinen Bruchsteinen an Kirchen, wie ich sie in den Ardennen oder in der Eifel gesehen hatte. Und die Eifel lag ja ungefähr einen Steinwurf von Gelsdorf entfernt, nämlich direkt dort, wo die Autobahn auf der B257 endete. Auf dem Erinnerungskreuz vor der Kirche las ich die Jahreszahl 1848. Ein Herr Fasbender – möglicherweise der damalige Pastor von Gelsdorf – war in diesem Jahr in einem Grab vor der Kirche beerdigt worden.
Kurz hinter Gelsdorf verließ ich Rheinland-Pfalz und kehrte nach NRW zurück. Meckenheim und Rheinbach, das waren die nächsten Städte. Der Rückenwind unterstützte mich, das Gelände war nun flach wie ein Brett, so dass ich auf der B266 so richtig Gas geben konnte. Zwischen Altendorf, Ersdorf und Wormersdorf wieder dieses sorgfältig gepflegte Landschaftsbild. Plantagen von Apfelbäumen, die abgeerntet waren und an denen noch das bunte Herbstlaub klebte. Dazwischen Obsthöfe, in denen nach der Apfelernte alles erledigt war. In dieses Landschaftsbild mischten sich zunehmend Baumschulen mit ihren schnurgeraden und genau ausgezirkelten Baumreihen hinein. Ich kam mir vor wie in unserem eigenen Garten zu Hause: Da hatte alles einen Plan, was wie angebaut wurde, jeder Quadratmeter wurde genutzt, insgesamt ein strukturiertes und vielschichtiges Bild.
In Rheinbach musste ich mich durch weite Flächen von Neubau- und Industriegebieten hindurch kämpfen. Wie Kopien in die Landschaft geklatscht, reihten sich linkerhand weiß gestrichene Doppelhaushälften aneinander. Rechterhand stocherte ich in der Gesichtslosigkeit des Industriegebiets herum: die Baumärkte OBI und Fassbender & Tenten reckten ihre Logos in den Himmel, an Handelsketten wie HIT oder Handelshof wehten Fahnen. Im Zentrum von Rheinbach gönnte ich mir dann einen Kaffee. In einer Bäckerei lümmelte ich mich an einem Stehtisch herum; ein Mann, dürr wie eine Bohnenstange, stopfte neben mir einen Stück Sahne-Nuss-Kuchen in sich hinein.
Auf dem Heimweg warf ich auf der der Autobahnbrücke bei Peppenhoven einen Blick zurück: zögernd sank die Sonne auf die Hänge der Eifel herab, in vielleicht einer halben Stunde würde sie untergehen. Ihre Sonnenstrahlen wärmten kaum noch und ließen einen Hauch von Winter aufkommen. Und wenn ich zu Hause ankommen würde, würde es bereits dunkel sein.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen